216 Jüdischer Sokrates und jüdischer Diogenes
rückte ihn das Taufgesuch an den Rand der jüdischen Aufklärungsbewegung, denn Ziel der Maskilim war es, als Aufklärer zu wirken, aber Juden zu bleiben.
Die Biographie Wolffs schildert Maimon folgerichtig als den Outlaw der aufgeklärten jüdischen Gesellschaft Berlins, der jedoch auch in die christliche Gesellschaft nie Aufnahme findet und deshalb immer stärker vereinsamt. Die offensichtliche Schamlosigkeit und Ungeniertheit Maimons bezeugen sowohl seine Autobiographie wie seine Biographie. Als Gründe für dieses kynische Verhalten und Maimons ganze Lebensweise müssen neben Charakter und Werdegang der starke Alkoholismus und auch die Lungentuberkulose angenommen werden, an der Maimon wie sein früh verstorbener Freund Karl Philipp Moritz litt. Maimons mit der Tuberkulose verbundene «Brustschmerzen », 368 seine schon viele Jahre vor seinem Tod auftretenden Depressionen und Todesängste, kurz: sein Wissen, daß er früh und vorzeitig sterben wird, mag psychologisch wie eine Entbindung von Normen und menschlichen Rücksichtnahmen gewirkt haben . 369 Der jüdische Diogenes existierte mit einem akuten und durch seinen Körperzustand und seine fragilen Lebensumstände immer wieder schmerzlich in Erinnerung gebrachten Wissen um seine plötzliche, immer vorzeitige Sterblichkeit. Er wußte schon in seinen Dreißigern, daß er nicht alt und lebenssatt sterben würde.
Maimon hat diese Außenseiterrolle als tuberkulöser Kyniker nicht nur hingenommen, sondern zeitweise offensichtlich genossen. Dafür steht eine Anekdote, die sich beim Brand seines Hauses abspielte: «Es brach einst ohn- weit seiner Wohnung ein großes Feuer aus, und zwar an einem Freitage Abends, wo, wie bekannt, der Sabbath der Juden anfängt und der orthodoxe Jude kein Feuer anzufassen wagt. Maimon befand sich in einer bürgerlichen Gesellschaft, wo er ein Glas Bier zu trinken pflegte, als man ihm die Nachricht brachte, daß seine Wohnung in der größten Gefahr wäre. <Ich glaube,» sagte er ganz