Vorwort
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Schwerpunkt in einer Analyse seiner Werke haben und ihn anhand seiner Werke als einen der führenden jüdischen Intellektuellen Europas im Fin de siede darstellen sollte.
Es stellte sich nämlich heraus, daß aufgrund der neu gefundenen und von mir großteils zum ersten Mal gesichteten und ausgewerteten Materialien, besonders der Briefe, die Biographie Nordaus generell auf eine weit sicherere chronologische und damit historisch brauchbare Basis gestellt werden konnte und mußte. Darüber hinaus konnte zu etlichen Punkten der aus den publizierten Schriften bekannten Positionen und zur Weltanschauung Nordaus, ebenso wie zu wichtigen Lebensentscheidungen und -Stationen ein privater Kontext rekonstruiert werden, der das Bild der bisherigen Nordau-Literatur bereicherte und in einigen wichtigen Punkten korrigierte. Daher wurde aus meiner primär ideengeschichtlich und ideologiekritisch angelegten Werkanalyse, welche die Bedeutung Nordaus als eines in Paris, der »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts« (Walter Benjamin) lebenden und schreibenden jüdischen Intellektuellen, eines Schriftstellers, Journalisten, Arztes und führenden Zionisten im Kontext von Philosophie, Naturwissenschaften, Psychopathologie, Literatur und Kunst des Fin de siede zeigen sollte, schließlich eine Schrift, die allererst auch eine verläßliche, auf die tatsächlich vorhandenen Dokumente gestützte Biographie Nordaus sein mußte.
Neben den Problemen der Analyse und Darstellung der zahlreichen Werke Nordaus im ebenso reichen wie disparaten geistesgeschichtlichen Raum des Fin de siede handelte ich mir auf diese Weise auch noch das Problem ein, nach Freud eine Biographie zu schreiben. Und zwar die Biographie eines Mannes, der anders als Herzl keine Tagebücher hinterlassen hat, aber dafür Hunderte von Briefen, Tausende von Korrespondentenberichten und Zeitungsartikeln sowie mehr als drei Dutzend Bücher, die, wie ich beim demgemäß ausführlichen Bibliographieren feststellen konnte, in insgesamt nicht weniger als 17 Sprachen übersetzt sind. Eine in diesem Umfang bisher nicht erstellte, aber sicherlich immer noch unvollständige Bibliographie der Werke Nordaus in chronologischer Reihenfolge ihrer Publikation und Übersetzung findet sich als Ergebnis meiner bibliographischen Recherchen vor allem in Jerusalem und Paris am Ende dieser Schrift.