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Vorwort
Max Nordau lebte vom Schreiben, und die Masse seiner Schriften zu suchen, nachzulesen, in einem komplexen intellektuellen Umfeld zu situieren und schließlich in den Hauptzügen wiederzugeben war der eine Teil meiner selbstgesetzten Aufgabenstellung. Jenseits der biographischen, gut positivistischen Faktenhuberei stellte sich die Frage, wie und mit welchen Methoden einem Text- corpus beizukommen ist, das nach Inhalt und Textsorten so vielfältig ist wie die Schriften Nordaus. Denn im Werk Nordaus mischen sich Tagesjournalismus mit rein medizinischer Fachliteratur, Kulturkritik mit Psychopathologie, Geschichtsphilosophie mit bürgerlichen Trauerspielen, Romane mit zionistischen Reden, Lyrik mit Religionskritik. Hier dekonstruktivistisch zu verfahren hätte das Durcheinander noch vermehrt und verbot sich, solange rein deskriptiv weder vollständig bekannt noch systematisiert ist, was Nordau tatsächlich alles geschrieben hat. In einem Werk, das sich interpretatorischer Willkür ohnehin geradezu anbietet, versprach Dekonstruktion kaum Erkenntnisgewinne, bevor nicht in großen Zügen bestimmte Grundlinien und -ideen im Werk Nordaus herausgearbeitet werden können. Das ist hier mit Mitteln einer nicht schulmäßig zu verstehenden Hermeneutik versucht worden, die nichts mit der Hermeneutik des Daseins bei Heidegger und nur sehr entfernt und rein anwendungsorientiert mit der Hermeneutik eines meiner ersten philosophischen Lehrer, Hans-Georg Gadamer, zu tun hat. Durch den Überhang an Biographischem wurde es allerdings nötig, die ursprünglich geplante hermeneutische, in Teilen komparatistische Darstellung der Werke Nordaus vor ihrem gei- stes- und kulturgeschichtlichen Hintergrund besonders in Positivismus und Psychopathologie durch Anleihen bei der Literatur- und Sozialgeschichte zu ergänzen.
Ais interpretatorisch fruchtbar erwies sich, entgegen allen Schulstreitigkeiten zwischen (Post-)Strukturalisten und Hermeneuten, die Arbeit mit den Mitteln der Diskursanalyse Michel Foucaults. Diese ist ursprünglich aus dessen Beschäftigung mit der Psychopathologie in Frankreich entsprungen, für die Nordau geradezu ein Fallbeispiel sein könnte, ohne daß Foucault sich ihm aber besonders gewidmet hätte. Im Lichte der Theorie Foucaults lassen sich Nordaus kulturkritische Werke, in Teilen jedoch auch die weltanschaulichen Aussagen und Gehalte seiner Romane und Thea-