Meine Selbstbiographie
27
helfer. Ordination von 3 bis 5« in der Großen Kronengasse 32 nieder. 4
Nicht einmal zwei Jahre hält er diese Existenz im in seinen Augen provinziellen, antisemitisch-chauvinistischen »Judenland« 5 Un garn aus. Im August 1880 zieht er das zweite Mal, diesmal endgültig, mit Mutter und Schwester nach Paris , wo er sich eine Lebensstellung schafft, nach und nach als deutschsprachiger und deutschfreundlicher Schriftsteller ein berühmter Mann und eine intellektuelle Institution wird, ein Mann, der nach einem erzwungenen Weltkriegsexil in Madrid im Jahr 1923 in Paris auch stirbt und begraben wird. In der Weltstadt Paris , seinem Wahlexil, kann er ganz ein »deutscher Schriftsteller« sein, »der an dem Rufe des deutschen Schriftthums selbst im widersten (...) Auslande nicht unrühmlich mitgearbeitet zu haben glaubt«. 6 Nichts und niemand außer den engen Familienangehörigen erinnert in Paris an seine jüdische Herkunft. In der Anonymität und religiösen Neutralität der Metropole erschreibt sich Nordau dann mit der Feder seine Existenz als sehr erfolgreicher deutscher Journalist und Schriftsteller. »Viele Jahre habe ich in meinem jetzigen Wohnort, Paris , keine Berührung mit dem Judentum gehabt.« Erst nach jahrzehntelanger Doppelexistenz - zu Hause für seine Mutter und Schwester »Simcha«, für die Öffentlichkeit der Pariser deutsche Schriftsteller »Max Nordau « - machen der Antisemitismus und Herzl aus ihm einen Zionisten.
Es sind nach seinem eigenen Eingeständnis nicht die Anziehungskräfte des Judentums selber, von dem er sich seit Jahrzehnten vollständig zu lösen versucht hatte und an das ihn nur familiäre Erinnerungen und Rücksichten banden, sondern die Einsicht in die Macht des Antisemitismus, die Nordau zum Zionisten werden lassen. Anlaß ist die Ende 1894 beginnende Dreyfus-Affäre. In der Person jenes vollkommen assimilierten jüdischen Hauptmanns Alfred Dreyfus scheitert buchstäblich unter den Augen des Pariser Aus-
4 Ein Blatt des Rezeptblocks mit der Adresse und den anderen Angaben findet sich unter den Nordau -Materialien in der Sammlung Schwadron der Hebräi schen National- und Universitätsbibliothek Jerusalem, Signatur II / 7.
5 Brief Nordau - Charlotte Südfeld, Rom , 30.9.1875, Zionistisches Zentralarchiv Jerusalem (Abk. ZZA ), Signatur: A119/16.
6 Brief Nordau - von Jagow, Port Bou , 22.9.1893, ZZA A 119 / 283 /132.