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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Jugendjahre in Pest

Simcha Südfeld

Wir wissen von Simcha Südfeld nur durch Max Nordau. Schon die allerersten erhaltenen Briefe von 1865 sind an »Max Nordau« ge­richtet. Der Petschaft des 17 Jahre jungen Mannes, mit dem er seine Briefe siegelt, trägt die Initialen »MN«. Diese Initialen zieren selbst seine Briefe an seine Familienangehörigen. Nur die Briefe an den Vater und an die geliebte Schwester Lotti sind unterzeichnet mit »Dein Simi«, schon 1865 und noch, bei der Schwester, im Ersten Weltkrieg. 11 Der Mutter werden die Briefe vorgelesen, sie ist Anal­phabetin. Vielleicht ist sie der hebräischen Schrift, aber jedenfalls nicht der noch gut leserlichen lateinischen Schrift in den Briefen ihres Sohnes mächtig. 12

Aber nur für die enge Familie bleibt er zeitlebens »Simi«. Für alle anderen, selbst für seine spätere Ehefrau Anna Dons, ist er »Max Nordau«. Seine erste Veröffentlichung, als er noch unter dem Na­men Südfeld aufs Gymnasium in Pest geht, trägt den nom de plume Max Nordau, jene noch pubertäre Umwertung und Aufwertung des jüdischen »Südfeld« in das deutsche »Nordau«. Denn Deutsch ist die Schriftsteller- und Schriftsprache des Max Nordau, nicht das Jiddisch der Eltern, nicht das Ungarisch seiner Pester Umwelt.

Max Nordau ist ein deutscher Schriftsteller, von Anfang an. Max Nordau schreibt deutsch, er schreibt sich und erschreibt sich einen Namen, einen Beruf, Ruhm, Vermögen, nicht zuletzt eine deutsche Identität. 13 Alle im Druck erschienenen Dokumente, die wir von

11 Diese Briefe samt einiger »MN« gesiegelter Umschläge werden im Zionisti­schen Zentralarchiv Jerusalem (ZZA) aufbewahrt, Signatur: A 119/14 ff.

12 Daß Sarah Rosalie Südfeld nicht der lateinischen Schrift mächtig war, geht aus dem Umstand hervor, daß sie das amtliche Schreiben, in dem sie die schrift­liche Zustimmung zur Namensänderung ihres Sohnes erteilt, weder selbst aufge­setzt noch unterschrieben hat, sondern ihre Zustimmung auf dem Blatt von zwei Zeugen bestätigt wird. Die Schrift auf dieser Genehmigung ist eindeutig als die Nordaus zu identifizieren.

Das genannte Schreiben ist Teil der Akte zur Namensänderung Nordaus, die sich unter der Signatur K 1501873-1015 im Archiv des ungarischen Ministe­riums des Innern in Budapest befindet. Die Akte wurde von Petra Zudrell aufge­funden und mir von ihr dankenswerterweise in Kopie zur Verfügung gestellt.

13 Zur Bedeutung von Namen und Namenswechsel bei Juden vgl. Dietz Bering, Der Name als Stigma. Antisemitismus im deutschen Alltag 1812-1933,