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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Jugendjahre in Pest

die Deutschen ausgesprochen. Aber das ist nur ein vermuteter mög­licher massiver Grund für einen Schulverweis in jenem Jahr. Der Grund mag auch einfach der sein, daß Nordau sich als guter Schü­ler sicher war, die Matura zu bestehen, und es deshalb vorzog, als Hauslehrer zu arbeiten. Denn diese Stelle ersparte nicht nur das Schulgeld, welches sein durch die Schul- und Sprachreform ar­beitslos gewordener Vater ohnehin nicht bezahlen konnte, son­dern brachte einiges Geld ein, das Nordau regelmäßig als Wirt­schaftsgeld der Mutter nach Hause schickte. Auch übersendet er seiner kränklichen Mutter Geld für den Arzt und Medikamente.

Eines jedenfalls zieht sich wie ein cantus firmus durch seinen Briefwechsel mit Lotti: Die Südfelds sind bitter arm, Schmalhans ist in der Tabaksgasse Küchenmeister. Diese Armut wird, jedenfalls von den Kindern, quittiert mit Klagen über die soziale Ungerechtig­keit und Deklassierung, verbunden mit einem Gefühl von intellek­tueller Überlegenheit. »Aber habe ich nicht wunderbar das Zeug zu einem deutschen Gelehrten«, heißt es in einem Brief an seine Schwester, nachdem er sich einmal mehr über die Mißhelligkeiten seines Domestiken-Daseins in Räkos-Keresztur ausgelassen hat . 33 Er weiß sich wegen der unverdienten Arbeitslosigkeit des gelehrt­aufgeklärten Vaters und trotz eigener Studien sozial deklassiert, aber geistig und künstlerisch »der Herrschaft« in Räkos-Keresztur weit voraus.

»Sieh nur, Du darfst nicht vergessen, daß wir arm, sehr arm sind, wir können es nicht den Reichen gleich thun, ja wir wollen es auch nicht. Aber wir haben ihnen zweierlei voraus, unseren Verstand und unseren Stolz .« 34

Hier bildet sich jene Denkfigur, die Nordau in späteren Briefen und Werken literarisch und weltanschaulich immer wieder variie­ren wird: Die im Kern kleinbürgerliche, ostentative Verachtung des >wahren< Gebildeten und des >wahren< Künstlers für den schnöden Mammon, über den andere, Unwürdige, im Überfluß verfügen und den man sich selbst so hart erarbeiten mußte, um Höherem from­men zu können. Eine Verachtung, die sich im übrigen mit verheim­lichten Ersparnissen und persönlichem Geiz dessen gut verträgt,

33 Brief Nordau - Charlotte Südfeld v. 28.1.1867, ZZA A 119/12.

34 Brief Nordau - Charlotte Südfeld v. 23.8.1867, ZZA A 119 /13.