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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Wanderjahre

will Nordau nur noch den März in Berlin verbringen, dann geht es hoch in den europäischen Norden. Er hat recht genaue Reisepläne: Vom 1. bis 11.4. Hamburg mit Ausflug nach Lübeck, am 12.4. Kiel, am 13. bis 21.4. Kopenhagen, vom 22. bis 26.4. Stockholm, vom 27. bis 29.4. Göteborg und von dort nach London. In London gedenkt er eine Zeit zu bleiben, deswegen schickt er einen großen Koffer direkt dorthin. Von Auerbach erbittet und erhält er noch ein Emp­fehlungsschreiben an Hans Christian Andersen in Kopenhagen. Am 6. April dann, in Hamburg, kurz bevor er Deutschland fürs erste verläßt, erinnert sich Nordau, daß er vor genau einem Jahr aus Pest abgereist ist. Das ehrgeizige Fazit dieses Jahres an seine Schwester: »Ich habe in diesem Jahre, ohne gerade müßig zu sein, nicht das erreicht was vielleicht zu erreichen gewesen wäre, aber wenn ich einmal zurückkomme, will ich mehr sein, als ich war, wie ich wegzog.« 38

Bildungsreise

Nordaus europäische Bildungsreise Vom Kreml zur Alhambra zeigt schon viele Züge der Reisegewohnheiten in Zeiten des moder­nen Massentourismus. Jedenfalls lesen sich die Briefe an seine Schwester so. Alle Ziele sind mit der Eisenbahn oder Fähre fast umstandslos erreichbar, die jeweiligen Hauptstädte oder Groß­städte werden, wie nach Baedeker, in wenigen Stunden oder Tagen abgehakt. Für Details bleibt keine Zeit, für Politik und Sozialver­hältnisse auch nicht. Was sich nicht dem ersten Blick erschließt, fällt der Vergessenheit anheim. »Unvergeßliches Thorwaldsen- Museum« heißt es aus Kopenhagen; 39 daß »Knäkkebrod« ihm

Fritz Stern: Gold und Eisen. Bismarck und sein Bankier Bleichröder, Hamburg 1988, S. 392 Anm.

38 Zweiter Brief Nordau - Charlotte Südfeld aus Hamburg am 6.4.1874, ZZA A119/15.

39 Brief Nordau - Charlotte Südfeld, Kopenhagen, 14.4.1874, ZZA A 119/15.