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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Bildungsreise

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für den Pester Lloyd arbeiten will. Keinesfalls nach 20 Uhr, besser noch, niemals nach 19 Uhr abends will er in der Redaktion sitzen müssen, 65 selbst bei guter Bezahlung. Letztere setzt er übrigens vor­aus, wenn er es auf sich nimmt, in Pest »an die Kette« des Lloyd sich schmieden zu lassen. Nach seiner Rückkehr will er endlich stan­desgemäß essen und wohnen. Die Eßgewohnheiten der Reise sol­len fortgeführt werden:

»8 Uhr Frühstück (Kaffee/Thee, Brod, Butter, Eier Beefsteak); 13 Uhr Imbiß (Bouillon, Omelette, Fleischspeise); 19 30 >Mittags- mahl< (Suppe, zwei Fleischspeisen, oder Fisch, Dessert, dazu Wein oder Bier)«, malt er sich seine zukünftigen Speisepläne in einem Brief an Lotti aus. 66 Daß diese Mahlzeiten natürlich alle nicht koscher sind und eine solche Tafel den orthodoxen Ansich­ten seiner Mutter und auch seiner Schwester zuwiderläuft, weiß Nordau nur zu genau. Darum will er auch eine nicht-jüdische Kö­chin und ein Mädchen zum Aufwarten anstellen. »Es würde mir, wie ich mich kenne, wol(!) nicht schwer fallen, mich wieder an schlechtes oder ungenügendes Essen zu gewöhnen, aber an einen jüdischen Tisch kann ich mich nie und nimmer gewöhnen. Das erste, was ich thue, wird denn auch sein, anständiges Tisch- und Küchengeräth zu kaufen...«

Die Wohnung muß entsprechend geräumig sein. Ein kombinier­tes Schlaf-, Arbeits- und Bibliothekszimmer für den Hausherrn, Salon, Speiseraum, Schlafzimmer »für Euch«, Küche, Kammer, Dienstbotenzimmer und Vorzimmer sind geplant: »...dieses >fi- nanzielle< Opfer muß gebracht werden, denn anständig wohnen ist die erste Bedingung anständigen Lebens. (...) An Sparen denke ich fürs erste nicht...« Den Widerstand der Mutter und Schwester vorwegnehmend, fügt Nordau jedoch etwas kleinlauter hinzu: »Könnt ihr euch an diese Lebensweise nicht gewöhnen, so werde ich mich natürlich fügen müssen.« 61

Nordau mußte sich fügen. Wie sehr ihn das Festhalten an jü­discher Orthodoxie zu Hause - und vielleicht auch seine eigene

65 Brief Nordau-Charlotte Südfeld, Madrid, 10.7.1875, ZZA A 118/16.

66 Brief Nordau-Charlotte Südfeld, Rom, 30.9.1875, ZZA A 119/16.

67 Alle Zitate: Brief Nordau - Charlotte Südfeld, Rom, 30.9.1875, ZZA A 119/16.