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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Wanderjahre

zipien, Kampf ums Dasein und Zuchtwahl, allgemeine Naturge­setze sind, denen alle Natur, zu der von Nordau unterschiedslos auch der Mensch und die menschliche Gesellschaft gezählt wer­den, unterworfen sind. Auch alle Kultur und Moral werden also von diesen hier zu allumfassenden Naturgesetzen erhobenen An­nahmen Darwins über Kampf ums Dasein und Zuchtwahl regiert. Kampf ums Dasein und Selektion sind die beherrschenden Prinzi­pien in der Natur ebenso wie in aller menschlichen Kultur, die letzt­lich nur Teil von >Natur< ist.

Nordau ist sonach von Anfang an, schon in seinem ersten Buch, ein überzeugter Anhänger von Darwins Evolutionstheorie und ein Sozialdarwinist der ersten Stunde. Wann und wie er, eventuell schon im Laufe seines Studiums, Darwinist geworden ist, ob er einen besonderen Anlaß oder Grund dafür hatte, ob er selbständig und sehr frühzeitig diese populärste, ideologisch erfolgreichste und folgenreichste naturwissenschaftliche Doktrin des 19. Jahrhun­derts 86 auf die menschliche Gesellschaft anwandte oder ob er den Sozialdarwinismus von einem anderen Autor übernahm, etwa von Herbert Spencer, wissen wir nicht. Aber für Nordau gelten in der Metropole Paris, unter den Menschen genauso wie in der Natur, die Gesetze des Dschungels.

Rückkehr nach Pest

Das Frühjahr 1878 bringt neben dem Erscheinen von Aus dem wahren Milliardenlande auch die erste Pariser Weltausstellung nach dem Deutsch-Französischen Krieg. Nordau wird mit Anfra­gen und Aufträgen für Feuilletons überhäuft, alte Kollegen und Freunde wie Richard Kaufmann kommen aus diesem Anlaß nach Paris. Nordau erlebt Iwan Turgenjew und den alten Victor Hugo, aber die olympischen Gesten und das Gehabe des letzteren hält er bei einem Manne von solchem Genius für überflüssig. 87

86 Dolf Sternberger, Panorama, S. 112.

87 Anna Nordau, Max Nordau. Erinnerungen, S. 100.