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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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bei Behörden nicht mehr in ihrer Muttersprache vorlegen, sondern mußten sich beim Behördenverkehr in ihrem eigenen Land eines Dolmetschers bedienen . 106 Noch schlimmer aber ist der »sociale Terrorismus« in Ungarn, der neuerdings eingesetzt hatte. »Heiß- spornige magyarische Blätter brachten täglich Proscriptions­listen jener Geschäftshäuser, welche sich erkühnten, deutsche Firmenschilder zu führen; dieselben Blätter denuncirten alle Vereine, ja sogar enge Familienkreise, in denen deutsch conver- sirt wurde, und beschimpften einzelne Individuen, die deutsche Gesinnung und Anhänglichkeit an ihre Muttersprache freimü- thig bekundeten .« 107

»Ungarn hat eine weitverbreitete deutsche Presse. Zwei deut­sche Blätter der Hauptstadt« - für die beide Nordau, ohne es hier zu sagen, ja gearbeitet hatte (Pester Lloyd und Neues Pester Jour­nal) - »haben jedes für sich allein mehr Abonnenten als alle magyarischen Blätter zusammen.« Kurz: Das ungarische Geistes­leben hat durch die teilweise gesetzwidrige und die deutschsprachi­gen Bevölkerungsteile diskriminierende Magyarisierung des öffent­lichen Lebens einen starken Einbruch erlitten. Wenn Ungarn nicht zweisprachig bleibt, sondern sich statt dessen in die Isolierung allein des für das Ausland schwer zu erlernenden Ungarischen begibt, so das Fazit Nordaus, wird es »losgeschnitten sein von der europäischen Gemeinschaft und ihre Ausweisung der euro­päischen Cultur mit dem Rückfall in den vollen Asiatismus be­zahlen.

Das Land wird es sehr bald fühlen, daß die Zweisprachigkeit allein den magyarischen Stamm bisher in Europa erhalten hat, daß das Deutschthum in Ungarn ein Glück für denselben war, daß er in seiner exclusiven Einsprachigkeit verkommen muß .« 108

Nordau sieht persönlich allerdings einen Geisteswandel der Ma­gyaren nicht voraus. Deshalb ist die Zukunft Ungarns insgesamt düster, er selbst als deutschsprachiger Journalist und Schriftsteller hat dort keine. Ihm sichert die eigene Sprachbegabung und Mehr­sprachigkeit die Emigrationsfähigkeit. In der Sache des Schulspra-

106 Die Gartenlaube, No. 24 (1880), S. 406.

107 Ebd.

108 Die Gartenlaube, No.24 (1880), S.407.