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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Ausländskorrespondent und Arzt in Paris

ben sollte. Er wohnte mit mir einigemale den Dienstagskliniken bei, die besonders starken Zulauf hatten. Von den Erklärungen verstand er nichts, aber er sah die vorgeführten Nervenkranken und verfolgte mit leidenschaftlichem Interesse die Versuche, die mit ihnen angestellt wurden. Die Eindrücke, die er empfing, ver­wendete er in dem mystischen Drama >Over Aevne<, worin ein gläubiger Pastor seine hysterisch gelähmte Frau gesundbetet und ein Wunder verrichtet zu haben meint.

Nordau hat sich, wie sein Nachruf auf Bjömson auch schildert, im Jahre 1884 mit Bjömson zerstritten und ihn dann nie wieder gesehen. Sicherlich ist hier nicht alles erzählt. De mortuis nil nisi bene. Nordau erwähnt beispielsweise nicht, daß sich seine eigene Lebenssituation in den zwei Jahren des Umgangs mit Björnson durch das Erscheinen der Conventionellen Lügen der Kultur­menschheit im Jahre 1883 grundlegend gewandelt hatte. Von einem mäßig beachteten Paris-Korrespondenten und Reise- Schriftsteller \yar er durch den Erfolg dieses Buches zu einem inter­national bekannten Bestseller-Autor und Kulturkritiker geworden. Er muß Ende 1882 und in der ersten Jahreshälfte 1883 sehr intensiv an diesem Buch gearbeitet haben. Im Juni 1883, das Buch erscheint im Frühherbst, lehnt Nordau sogar das lukrative und auch sonst äußerst verlockende Angebot der Frankfurter Zeitung ab, anläß­lich der Eröffnung der transkontinentalen Northern Pacific- Bahn­strecke von Juli bis Oktober die USA zu bereisen und von dort Feuilletons im Stile von Vom Kreml zur Alhambra zu schicken. 32 Nordau hat keine Zeit. Er liest die Korrekturfahnen eines Buches, das ihn bekannt machen soll und bekannt machen wird.

31 »Erinnerungen an Bjömsteme Bjömson«, in: Neue Freie Presse, 18.Mai 1919, Morgenblatt, S. 1-4.

32 ZZA,A 119/89/49.