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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Die conventioneilen Lügen der Kulturmenschheit

Die monarchisch-aristokratische Lüge

Das Kapitel Die monarchisch-aristokratische Lüge hat, wie sein Titel, zwei Teile. Der erste Teil ist gegen die Monarchie gerichtet, der zweite gegen den Erbadel. Der Beginn des Kapitels knüpft gleich an die Kritik der religiösen Lüge an, denn, konstatiert Nordau, die Monarchie habe die religiöse Lüge des Gottesglaubens zur Voraussetzung; nicht so allerdings die Religion die Mon­archie . 24 »Wir brauchen die Religion als Schild für die Monarchie«, müßten konsequente Monarchisten sagen und die Religion vertei­digen . 25

Denn fällt die Religion, so fällt auch die Monarchie. Nur die Legi­timation »von Gottes Gnaden« mache es gegen den gesunden Menschenverstand möglich, das Erbkönigtum und damit die Herr­schaft von in jeder Hinsicht kläglichen Königen zu rechtfertigen. »Unter den lebenden Monarchen civilisierter Länder« gebe es kaum einen, der als Heerführer, Schriftsteller, Gelehrter oder Künstler es zu etwas bringen würde, kaum einen, der »seinen Le­bensunterhalt mit bürgerlicher Arbeit gewinnen, eine Familie grün­den und erhalten könnte «. 26

Nicht nur gemessen an der bürgerlichen Arbeitsethik. Nordaus, auch gemessen an seinen darwinistischen Tüchtigkeitsidealen ist »Religion (...) die einzige Begründung des Erbkönigthums«. Sonst würde Aufklärung (!) unaufhaltsam entweder zur Staatsform der Diktatur, nämlich zur Herrschaft des Stärksten, oder zur Republik, der Herrschaft des Fähigsten führen . 27 Nordau favorisiert die Repu­blik, aber »so lange das alte Europa in seinen gegenwärtigen Cultur- formen lebt, ist die Republik ein Widersinn und ein unwürdiges Spiel mit dem Namen «. 28 Die IUieme Republique und ihre Miß­stände vor Augen, gebärdet sich ihr Kritiker als Jakobiner: Köpfe man nur den König, belasse aber die Vorrechte des Adels, den Ein­fluß des Großkapitals, die Macht der Beamtenhierarchie, so erhalte

24 S. 82. ,

25 S. 89.

26 S. 87.

27 S. 89.

28 S. 94.