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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit

rechtfertigt seine Privilegien aus. Aber im Grunde ist die Herausbil­dung einer Aristokratie, einer Herrschaft der Besten im Wortsinne, eine Notwendigkeit. Ganz Darwinist und nicht mehr Jakobiner, wendet sich Nordau gegen die Forderung der Französischen Revo­lution nach egalite . 35 Gleichheit vor dem Gesetz bejaht er, Gleich­macherei sei Unsinn.

Gleichheit »steht im Widerspruch zu allen Lebens- und Ent­wickelungsgesetzen der organischen Welt. Wir, die wir auf dem Boden der naturwissenschaftlichen Weltanschauung stehen, er­kennen gerade in der Ungleichheit der Lebewesen den Anstoß zu aller Entwickelung und Vervollkommnung. Was ist denn der Kampf ums Daseyn (...) anderes als eine stete Bethätigung der Ungleichheit ?« 36

Der Kampf ums Dasein schafft mit der Aristokratie eine Auslese der Tüchtigen, der Nordau persönlich gewisse Privilegien gönnt. Er habe anerkannt, »daß die Aristokratie eine natürliche und darum unvermeidliche und voraussichtlich ewige Einrichtung der Menschheit ist und mich gegen die ihr zugestandenen erblichen Ehren und Vorrechte nicht aufgelehnt, aber nur unter einer Be­dingung: daß die Aristokratie wirklich aus dem besten und tüch­tigsten Menschenmaterial bestehe. (...) Sie muß ursprünglich aus einer auserlesenen Gruppe hervorgegangen sein und durch Zuchtwahl ihre Vorzüge erhalten und vergrößern .« 31

Von darwinistischer Warte ist gegen die Aristokratie nichts ein­zuwenden. Wir können diese Worte indessen auch so lesen: Max Nordau stünde für einen Arbeits-Adelstitel zur Verfügung. Denn Arbeit - oder der König - adelt. Und beim »Menschenmaterial« kommt es nicht darauf an, ob es jüdisch oder christlich ist, Haupt­sache tüchtig und züchtig.

35 S. 136.

36 S. 137 f.

37 S.153.