Die politische Lüge
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Die politische Lüge
Das Kapitel Die politische Lüge ist schlechthin konfus. Wie ein Altliberaler zieht Nordau gegen den »Reglementarismus« und den »Protokollarismus« des modernen Staates vom Leder . 38 Der allgegenwärtige Staat sei vollkommen übertrieben, denn er übt seine Schutzfunktionen gegenüber dem Bürger deswegen kein bißchen besser aus. »Durch die moderne Vielregiererei, durch das endlose Schreiben, Protokollieren, Amten, Verbieten und Erlauben wird Leben und Eigentum des Individuums nicht mehr geschützt als ohne diesen ganzen verwickelten Apparat .« 39
Die moderne Staatsmaschine behindert an allen Ecken und Enden die freie Entfaltung der Individuen und verschwendet zugleich unnötigerweise deren Steuern durch einen aufgeblasenen, überprivilegierten Beamtenapparat. Die Steuererhebung ist geradezu zur Erpressung verkommen. Der herrschende »Fiscalismus ist die zum System erhobene Ausbeutung des Volkes «. 40 »Nur in sehr kleinen Staaten oder in solchen mit weitgehender Decentralisation und Selbstverwaltung wird die Leistung des Bürgers nicht so unverantwortlich verpraßt; derartige Gemeinwesen nähern sich ihrer Natur und ihren Existenzbedingungen nach den Cooperativ- Genossenschaften; (...) man fühlt da jeden Nutzen und jeden Verlust unmittelbar, sieht sich durch jenen für gebrachte Opfer entschädigt .« 41 (Kein Wunder, daß Nordau Herzls Idee der Genossenschaften im judenstaat einleuchten wird!)
Dies will Nordau keineswegs als Plädoyer für die Anarchie verstanden wissen , 42 es ist jedoch auch keines für den herrschenden Parlamentarismus. Denn der ist zwar »eine logische Folge unserer Weltanschauung«, aber in seiner gegenwärtigen Form ebenfalls eine »ungeheure Lüge«. Statt des Königs prassen im Parlamentarismus die Beamtenhierarchie und die Parlamentarier. Um hier den Mißbrauch abzuschaffen, verlangt Nordau für die direkte Vertre-
38 S. 178.
39 S. 183.
40 S. 188.
41 S. 183.
42 S. 186.