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Die conventionellen Lügen der Kulturmenschheit
keit der Frau, wie sie zu seiner Zeit durchaus schon gefordert wurden. Die Bestimmung der Frau, hier schlägt die naturwissenschaftliche Weltanschauung voll durch, ist eine biologische, die wie gehabt die Überlegenheit des Mannes und die Abhängigkeit der Frauen mit vermeintlich wissenschaftlicher Begründung festschreibt. Um die Ehe unbefangen zu betrachten, müsse man sich von den christlichen »Moralanschauungen« ganz losmachen . 67
Dann jedoch stellt sich auch die Frage, ob die Monogamie überhaupt natürlich sei, wie dies die christliche und die herrschende Ehemoral behaupten. Die naturwissenschaftliche Weltanschauung meint dazu: »Der Mensch ist thatsächlich kein monogamisches Thier «, 68 der ursprüngliche »polygamische Instinkt« werde durch Kirche, Moral und wirtschaftliche Umstände allerdings so unterdrückt, daß die Monogamie als das Ergebnis jahrhundertelanger kultureller Entwicklung betrachtet werden müsse. Zur radikalen Forderung der Anerkennung der Polygamie kann sich Nordau jedoch nicht durchringen. Aber weder die Monogamie noch die lebenslange Ehe sind für ihn Einrichtungen der Natur, deswegen seien auch romantische Schwüre von ewiger Treue unnatürlich. Nordau befürwortet die Scheidung, die »fortgeschrittene Länder« eingeführt haben und verbittet sich die Diskriminierung von Geschiedenen . 69 Trotz dieser Kritik ist er keineswegs ein Revolutionär. Monogamie hin, Polygamie her, der Zweck des Weibes ist Fortpflanzung der Gattung. Deswegen ist auch die »Fraueneman- cipation« kein Heilmittel gegen die Ehelüge.
»Das Weib hat eine hohe und vornehme Stellung in der Kultur, weil es sich bescheidet, weil es zufrieden ist, die Ergänzung des Mannes zu sein und seine materielle Überlegenheit anzuerkennen. (...) Das voll emancipierte Weib, das sich vom Manne unabhängig, in vielen Fällen wegen aufeinanderstoßender Interessen als dessen Feindin fühlt, muß alsbald in die Ecke gedrückt sein. Das ist dann der Kampf, der rohe Kampf, und wer in demselben siegt, das ist nicht zweifelhaft. Die Emancipation bringt noth- wendig Mann und Weib in das Verhältniß einer höheren und
67 S. 341-350.
68 S. 359.
69 S. 368f.