Die Ehelüge
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einer niedereren Race - denn der Mann ist für den Kampf ums Dasein besser ausgerüstet als das Weib (...)« 70
Ziel der »Emancipationsprediger« sei es, dem Weibe zu ermöglichen, ohne Mann und Ehe zu leben. Das aber gefährdet die Fortpflanzung der Gattung und ist für Nordau deshalb unannehmbar. Das Weib hat als Gebärerin in einer genetisch förderlichen Ehe zur Verfügung zu stehen. Es soll seinen Mann aus Neigung wählen, hat aber nicht die Möglichkeit, keinen Mann, ein Dasein als Lesbe oder gar Kinderlosigkeit zu wählen. In solch darwinistischer Ehemoral hat die Frau unweigerlich Reproduktionsfunktion und es ist darum, so Nordau großmännisch ,»Pflicht der Gesellschaft, ihre Frauen, ihr kostbarstes Zuchtmaterial, vor physischer Entbehrung zu schützen «. 11
Bis in die gesellschaftliche Rollenverteilung setzt sich die biologistische Attitüde durch. Würde ein Staat Nordaus neue, darwinisti- sche Ehemoral übernehmen, zum Gesetz machen und durch seine Bürger exekutieren lassen, würde Erhaltung und Verbesserung des »Zuchtmaterials« zum Staatsziel; Frauen würden als Gebärmaschinen funktionalisiert. Nordau hat das, dies sei hier ausdrücklich festgestellt, nicht gefordert, aber seine Sprache und Weltanschauung lassen sich ohne jede Umstände für solche Staatszwecke beleihen. Dann wird, wie Helmuth Plessner es genannt hat, die dar- winistische Biologie mit staatlicher Hilfe »autoritär «. 72 Jeder biologistische Diskurs, der die Rolle der Frau auf die des »kostbarsten Zuchtmaterials« und der Gebärerin einengt, kann, wir wissen das heute aufgrund historischer Erfahrungen besser als Nordau, durch staatliche Intervention und Autorität direkt zum »Lebensborn« und zur Verleihung von Mutterkreuzen führen, verliehen, >natür- lich<, von einem Mann. Nordau, um es noch einmal zu sagen, ist nicht dafür, sondern nur für den Text verantwortlich, den er schrieb. Und der, in seiner Mischung von Darwinismus, Männer- Rhetorik und Kitsch, ist schlimm genug:
»Die Rolle des Mannes im Gattungsleben ist die des Brod-
70 S. 371.
71 S.372.
72 Helmuth Plessner, Die verspätete Nation (1934/35), Frankfurt/M. 1974, S. 144-164.