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Paradoxe und Privates
lassen muß, der Künstler dem Wissenschaftler und Staatsmann. Daraus ergibt sich am Ende des Kapitels dann eine Art >Hitliste< der Genies:
»Am höchsten stehen folglich unter den Genies diejenigen, die Urtheils- mit Willensgenialität vereinigen. Das sind die Männer des Handelns, die die Weltgeschichte machen (...), die Völker geistig und stofflich formen (...)« (z.B. Alexander, Mohammed, Cromwell, Napoleon); »In zweiter Linie kommen die Genies des Urteils mit guter, aber nicht genialer Entwickelung des Willens, die großen Forscher, Versucher, Entdecker und Erfinder « (z. B. Robert Meyer, Helmholtz, Robert Koch); »Den dritten Rang nehmen die reinen Urtheilsgenies ohne entsprechende Ausbildung des Willens ein, die Denker, die Philosophen.« 27 »Hinter den drei Kategorien der kogitationellen Genies (...) kommen endlich die emotionellen Genies (...). Unter den emotionellen Genies nehmen wieder die Dichter den ersten Platz ein (...). Während sich bildende Künstler und Musiker auf das Erfassen und Wiedergeben solcher sinnlich wahrnehmbaren Merkmale von Bewußtseins-Zuständen beschränken müssen (...), ist der Dichter im Stande, sie scharf zu umgrenzen und so zu spezialisieren (...). Diese Rangordnung ist die allein natürliche, denn sie beruht auf organischen Voraussetzungen .« 28
Name dropping betreibt Nordau auch in dem Kapitel Suggestion, in dem die Großen der »neueren« (französischen) »Psychologie« aufgeführt werden: Charcot, Bernheim, Dumontpallier und Maguin 29 Suggestion wird definiert als das In-Bewegung-Setzen des Willens anderer Menschen. Sie wird eingeteilt in unbewußte (d.h. unbeabsichtigte) und in bewußte Suggestion sowie in individuelle und Massensuggestion. Interessant ist hier, wie Nordau etliche Jahre vor Le Bons Werk über die Psychologie der Massen die Massensuggestion faßt. Er leugnet nämlich, gegen die Schule der Völkerpsychologie und ihre populären, nationalistischen Ableger, daß es so etwas wie einen »nationalen Charakter« oder eine
27 S. 215f.
28 S. 217 f.
29 S. 227. Vgl. Henry F. Ellenberger, Die Entdeckung des Unbewußten, Zürich 1985, bes. S. 137 ff.