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Paradoxe und Privates
wie die Aufgußthierchen im Teichwasser. Es beherrscht auch die Völker (,..).« 46
Der Blick in die Zukunft, das Schlußkapitel des Buchs, gerät Nordau dann offen kolonialistisch. Da die vier oder fünf großen Nationen im Europa der Zukunft zwar in kulturellem und militärischem, gegenseitig respektierten Gleichgewicht leben werden, aber die Nahrungsmittelproduktion nicht mit der Bevölkerungsexplosion wird Schritt halten können, 47 werden die weißen Europäer über ihren Weltteil hinausstreben, die ganze Welt erobern und die farbigen Rassen ausrotten. Die unterlegenen »farbigen Racen« werden von der »weißen Race« »mit Stumpf und Stiel« vernichtet, denn die Farbigen sind im »Kampf ums Dasein« schlechter gerüstet, und das Resultat dieses Kampfes ist ganz buchstäblich die »Ausrottung der niedrigeren und schwächeren Racen«. 48 Das kann noch Jahrhunderte dauern, aber am Ende wird »die ganze Erde dem Pfluge und der Lokomotive der Söhne Europas unterthan sein«. 49
Aber auch damit ist die Weltgeschichte noch nicht zu Ende. »Die Weltgeschichte ist das perpetuum mobile und sie läuft und läuft ins Unabsehbare.« 50 Die Weißen werden in den Tropen degenerieren und müssen durch Nachwuchs aus Europa regeneriert werden. 51 Zuletzt, so prophezeit Nordau in Anlehnung an die zeitgenössischen naturwissenschaftlichen Diskussionen um den von Rudolf Clausius 1850 aufgestellten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, den sogenannten Entropie-Satz, werden die Erde auskühlen, die Pole größer werden und die Menschheit sich um den Äquator herum ansiedeln. Was danach aus dem perpetuum mobile wird, weiß auch Nordau nicht mehr.
Mit Utopie hat das alles nichts zu tun, im Gegenteil: Der die ganze moderne Naturwissenschaft beherrschende und einst gegen den religiösen Wunderglauben gerichtete Grundsatz, daß die Natur
46 S. 401.
47 S. 406.
48 S. 409.
49 S.410.
50 S.410.
51 S.412f.