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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Seelenanalysen

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nerfiguren an zeitgenössische Erzählungen Fontanes und beson­ders Schnitzlers, die in ähnlicher Weise vor dem Unbewußten und seiner Thematisierung gerade haltmachen.

Unter den fünf Novellen Ein Sommernachtstraum, Blasiert, Panna, Die Kunst zu altern und Wie Frauen lieben ist Blasiert symptomatisch für Nordaus sattsam bekannte naturwissenschaft­liche Weltanschauung und den geringen Wert und Platz des In­dividuums darin. Blasiert ist die sehr kurze Geschichte des Für­sten Ludwig von Hochstein-Falkenburg-Gerau, eines Offiziers im Deutsch-Französischen Kriege, der aufgrund seiner Herkunft im Leben und bei seiner Selbstverwirklichung immer nur Erfolg hatte. Er mußte, hierin ein Bruder Wilhelm Eynhardts, nie um etwas kämpfen, weder bei Frauen noch beim Militär noch als Poet noch als Großwildjäger. Mit Anfang Dreißig ist er unzufrieden, men­schenverachtend und blasiert, weil er nie ernsthaft gefordert wurde. Nichts, auch der Schlachtenlärm nicht, vermag ihm eine Leiden­schaft zu entlocken. Er fällt, so der Rahmen der Erzählung, am 16.8.1870 nach einem siegreichen Angriff mit einer selbstironi­schen Bemerkung auf den Lippen. Beim Angriff nämlich ist ihm folgendes Erlebnis widerfahren, in dessen Beschreibung Nordau seine Weltanschauung packt:

»fetzt grübelte und krittelte er nicht mehr. Ihm war, als wäre der Zweifelsgeist aus ihm getrieben (...) Dieser ich-stolze Mann, der sein Glück immer in der unbeschränkten Bethätigung seiner Persönlichkeit gesucht hatte, fand nun sein Selbst bis zur Nicht­wahrnehmbarkeit zusammenschrumpfen. Er war nur noch ein Steinchen in einer Mosaik, die erst in ihrer Gesamtheit ein hohes Meisterwerk bildete. Ein Mächtiges, man nenne es Naturgesetz oder den Willen, dessen Kundgebung die Weltgeschichte ist, war in ihn eingezogen und hatte von ihm vollen Besitz ergriffen. Nicht er lenkte jetzt sein Geschick, es wurde von einem Unbe­kannten außer ihm bestimmt. Wäre er nun die erste Menschener­scheinung auf Erden gewesen, ein 'Newton, ein Goethe, ja ein welterlösender Christus, jetzt hätte er nicht mehr gewogen als der namenlose märkische Ackerknecht neben ihm, jetzt hätte er im Mechanismus der Weltgeschichte nur den Wert einer Dutzend­schraube oder Niete gehabt. Und seltsam - diese Auflösung sei­ner Individualität in eine Gesamtheit (...) erregte in ihm weder