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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Paradoxe und Privates

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und die Selbstachtung der beiden Männer es eben zulassen. Es ist durchaus fraglich, ob Nordau sich jenseits seines dreißigsten Lebensjahres überhaupt jemals noch mit einem Manne geduzt hat; in seinen erhaltenen Briefen gibt es jedenfalls kein Anzeichen dafür.

Die Briefe von Jagows an Nordau sind, soweit bekannt, leider nicht erhalten. Auch in den Erinnerungen fällt sein Name nicht, aber das hat, wie wir später sehen werden, triftige Gründe. Wer also war Eugen von Jagow? Die ausführlichste Lebensbeschrei­bung dieses Mannes stammt aus der Feder seines Sohnes Clemens von Jagow, der die Briefe Nordaus aus dem Nachlaß seines Vaters an das Zionistische Zentralarchiv weitergab und die folgende Le­bensskizze beilegte:

»Eugen von Jagow wurde am 6.3.1849 in Aulosen/Altmark als Sohn des Rittergutsbesitzers und Rittmeisters a. D. Wilhelm von Jagow und der Clemence, geb. von LEstocq geboren. Er hatte zwei ältere und einen jüngeren Bruder. Mit dem letztem verbrachte er seine Jugend überwiegend mit der Mutter in Ber­lin, wo er auch, der Huguenotten-Tradition der mütterlichen Familie folgend, das Französische Gymnasium besuchte. Der deutsch-französische Krieg von 1870 unterbrach das gerade in München begonnene juristische Studium. Mein Vater meldete sich freiwillig bei den 3. Gardeulanen und blieb auch nach dem Krieg aktiv. Der Gardeleutnant in Potsdam muß in der damali­gen Zeit ein Außenseiter gewesen sein. Allem Musischen aufge­schlossen - er spielte künstlerisch vollendet Klavier - begann er schon in seinen Soldatenjahren mit Dichtungen. (...) Obgleich für die Kriegsschule vorgesehen, quittierte mein Vater 1880 den Dienst, um frei als Dichter und Journalist leben zu können. Er ging nach Paris. Seine Existenzgrundlage fand er als außenpoli­tischer Korrespondent der >Kreuz-Zeitung<, schrieb aber auch Feuilletons für andere Zeitungen und verfaßte verschiedene Ro­mane und Dramen.

Die Bekanntschaft zwischen Max Nordau und meinem Vater muß schon sehr bald erfolgt sein und entwickelte sich, wie die Ihnen überlassenen Briefe Nordaus zeigen, zu einer tiefen Freundschaft. Die Grundlage dafür-ich bin dabei auf Deutun­gen angewiesen - wird gewesen sein, daß mein Vater im Grunde