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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Erster Band und eine Widmung von Bedeutung

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Diagnose teilt. Der in diesem Kontext so unverdächtige, skeptisch­konservative Theodor Fontane etwa, den Nordau aus der Redak­tion der Vossischeti Zeitung gut kannte, hat nicht nur Nordaus Conventionelle Lügen zustimmend zur Kenntnis genommen, son­dern auch Mantegazzas Diagnose vom nervösen Jahrhundert. 36 Das Fin de siede als nervöses Zeitalter ist 1892/93 beinahe schon ein Gemeinplatz. Paris ist im Fin de siede nach der Weltausstellung von 1889 mit dem Eiffelturm der Inbegriff der modernen Metropole und all ihrer zivilisatorischen Errungenschaften. Es ist nicht ver­wunderlich, daß Paris für den Wahl-Pariser Nordau das Paradigma seiner Kritik an der zivilisatorischen Entartung abgibt: Entartete und ihre Bewunderer sind Großstädter. Zudem wird das Bild von Paris als dem Hort der Entartung bei von Nordau als entartet quali­fizierten Autoren wie Baudelaire, Huysmans oder Zola selber ge­prägt: In den Fleurs du mal ebenso wie in A rebours oder Pot- Bouille ist Paris der Ort des Bösen, der Decadence und des Schmutzes: der Entartung.

Erster Band und

eine Widmung von Bedeutung

Morel mit seiner These von der Entartung als psychophysischer, erblicher Zivilisationskrankheit ist ausdrücklich der wissenschaft­liche Kronzeuge Nordaus; der andere Kronzeuge, dem Entartung sogar gewidmet ist, ist Cesare Lombroso. Lombroso hatte in Genio e folia 1864 zum ersten Mal die These vom Wahnsinn einiger be­kannter künstlerischer und wissenschaftlicher Genies gewagt und diese popularisiert. 37 Diese Einzelfall-Analysen des neben Charcot wohl berühmtesten Psychopathologen des 19. Jahrhunderts hat

36 Vgl. Hans Otto Horch, Fontane und das kranke Jahrhundert. Theodor Fontanes Beziehungen zu den Kulturkritikern Friedrich Nietzsche, Max Nordau und Paolo Mantegazza, in: Hans-Peter Bayerdörfer, Karl Otto Conrady und Hel­mut Schanze (Hg.), Literatur und Theater im Wilhelminischen Zeitalter, Tübin­gen 1978, S. 1-34. Auf Beard und Mantegazza wies mich Volker Roelcke hin.

37 Deutsch: Cesare Lombroso, Genie und Irrsinn, Leipzig 1887.