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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Dreyfus und die Folgen

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Stoßrichtung gegen Ibsen nur zu gut verstanden, aber nicht goutiert worden. In Berlin wurde es schließlich in Abwesenheit Nordaus aufgeführt, denn Nordau hatte sich mit Oskar Blumenthal, dem Prinzipal des Lessingtheaters, wegen Veränderungen im Stück zer­stritten . 6

Das Recht zu lieben ist ein Stück in vier Aufzügen. Seine Haupt­figur Bertha Wahrmund besteht nach acht Jahren Ehe mit ihrem Mann Josef, der zwei Töchter entsprossen, auf ihrem Recht, einen anderen Mann zu lieben. Sie fällt auf die gar nicht ernst gemeinte Liebelei des Assessors Otto Bardenholm herein, der sie später, als der Ehebruch ihrem Mann bekannt wird, nicht heiraten will. Der rechtschaffene Josef Wahrmund verachtet seine Frau ob ihres Ehe­bruchs, aber er verstößt sie, obwohl das sein gutes Recht wäre, nicht in Armut und soziale Ächtung. Vielmehr erlaubt er seiner untreuen und nunmehr von ihm nicht mehr geliebten Frau, der Töchter we­gen in seinem Haus zu bleiben, und ist bereit, die Affäre zu vertu­schen.

Der Bezug und die Gegnerschaft zu Dramen Ibsens ist hier offen­sichtlich. Hatte Nordau Ibsen und seine Figuren in Entartung noch als Ich-Süchtige und Irre gebrandmarkt, so wird hier auf dem Thea­ter ein Gegenprogramm inszeniert: Bertha Wahrmund, die sich wie eine der emanzipierten Ibsenschen Frauenfiguren das Recht auf Liebe und Sexualität mit einem anderen als dem Ehemann nimmt, verläßt nicht wie Nora in Ibsens Ein Puppenheim (1877) am Ende Mann und Kinder und geht in eine ungewisse Zukunft. Sie bleibt vielmehr, von ihrem Liebhaber und von ihrem Ehemann gedemü- tigt, ihrer Ehre und der ehelichen Liebe beraubt, in einer Art Haus- hälterinnen-Dasein für Mann und Kinder im Haus ihres Mannes wohnen. Der Versuch Berthas, sich sexuell und sozial zu emanzi­pieren, wird mit moralisierender Pointe im Stück bestraft durch De­mütigung, Liebesverlust und Unterordnung in verschlechterten Verhältnissen. Ein Stück bürgerlich-moralisches Programmtheater gegen die Emanzipation der Frau, in dem Nordaus die Frau auf ihre Mutterrolle reduzierende Weltanschauung und die daran knüpfen­den >moralischen< Rollenvorstellungen über jede dramaturgisch

6 Zu den Begleitumständen dieses Streits und der Aufführung vgl. Briefe Nordau-von Jagow, Paris, 23.7.1893 u. 13.8.1893, ZZA 119/283/123 bzw. /129.