Dreyfus und die Folgen
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schen< Namen!) und betrieben Spionage für die Deutschen. 27 Nach dem Bekanntwerden der Affäre durch Indiskretion trotz fortgesetzter Versuche der Geheimhaltung durch Militärjustiz und Politiker schießen schnell wilde Spekulationen ins Kraut, vor allem aber fällt die nationalistische und klerikale Journaille Frankreichs über die Juden her. Als Nordau in den ersten Novembertagen aus Berlin zurückkehrt, ist die antisemitische Kampagne schon in vollem Gange. Er telegraphiert am 7. November, eine Woche nach Bekanntwerden der Identität von Dreyfus, einen Bericht über die antijüdischen Attacken der französischen Presse an die Redaktion der Vossi- schen Zeitung, der in der Morgenausgabe des 10. November 1894 in der hier folgenden Form abgedruckt wird. Es ist das erste Dokument, in dem sich Nordau über die Dreyfus-Affäre äußert:
»Paris, 7. November. (Eig. Ber.) Bei der begreiflichen Zurückhaltung der Regierung, die über das Ergebniß der Untersuchung Schweigen beobachtet, hat sich um den Fall Dreyfus bereits dicker Sagennebel gebildet, der von Tag zu Tag undurchsichtiger wird. Die Lärmblätter wissen jeden Morgen und Abend etwas Neues in der Sache zu melden. Hauptmann Dreyfus soll längst verdächtig gewesen und seine Entlarvung dadurch herbeigeführt worden sein, daß man ihm ein erfundenes Schriftstück zur Bearbeitung gab und dieses bald darauf im Besitz einer fremden Macht fand. Er soll alles gestanden und sich mit drückenden Spielschulden entschuldigt haben. Die Geheimnisse, die er verrathen hat, sollen Einzelheiten der Mobilmachung und Sendungen französischer Offiziere ins Ausland betroffen haben. Nach den einen soll er für Italien, nach den anderen für Deutschland gearbeitet haben. (...) Einige dieser romantischen Geschichten sind halbamtlich, andere von der Familie Dreyfus für Erfindungen erklärt worden. So versichern die Mutter und die Gattin des Beschuldigten, daß er niemals Schulden gehabt, niemals gespielt, niemals Beziehungen zu einer Abenteurerin unterhalten habe, daß er noch jetzt ein verfügbares Vermögen von 400000 Fr. besitze und daß er niemals ein Geständnis abgelegt habe, vielmehr fest überzeugt sei, daß er seine
27 Eduard Drumont, Das verjudete Frankreich. Autorisierte deutsche Übersetzung von A. Gardon, Berlin: A. Deubner 1890, S.30Oft.