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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Dreyfus und die Folgen

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schen< Namen!) und betrieben Spionage für die Deutschen. 27 Nach dem Bekanntwerden der Affäre durch Indiskretion trotz fortgesetz­ter Versuche der Geheimhaltung durch Militärjustiz und Politiker schießen schnell wilde Spekulationen ins Kraut, vor allem aber fällt die nationalistische und klerikale Journaille Frankreichs über die Juden her. Als Nordau in den ersten Novembertagen aus Berlin zu­rückkehrt, ist die antisemitische Kampagne schon in vollem Gange. Er telegraphiert am 7. November, eine Woche nach Bekanntwer­den der Identität von Dreyfus, einen Bericht über die antijüdischen Attacken der französischen Presse an die Redaktion der Vossi- schen Zeitung, der in der Morgenausgabe des 10. November 1894 in der hier folgenden Form abgedruckt wird. Es ist das erste Doku­ment, in dem sich Nordau über die Dreyfus-Affäre äußert:

»Paris, 7. November. (Eig. Ber.) Bei der begreiflichen Zurück­haltung der Regierung, die über das Ergebniß der Untersuchung Schweigen beobachtet, hat sich um den Fall Dreyfus bereits dicker Sagennebel gebildet, der von Tag zu Tag undurchsich­tiger wird. Die Lärmblätter wissen jeden Morgen und Abend etwas Neues in der Sache zu melden. Hauptmann Dreyfus soll längst verdächtig gewesen und seine Entlarvung dadurch her­beigeführt worden sein, daß man ihm ein erfundenes Schrift­stück zur Bearbeitung gab und dieses bald darauf im Besitz einer fremden Macht fand. Er soll alles gestanden und sich mit drückenden Spielschulden entschuldigt haben. Die Geheim­nisse, die er verrathen hat, sollen Einzelheiten der Mobil­machung und Sendungen französischer Offiziere ins Ausland betroffen haben. Nach den einen soll er für Italien, nach den an­deren für Deutschland gearbeitet haben. (...) Einige dieser ro­mantischen Geschichten sind halbamtlich, andere von der Fa­milie Dreyfus für Erfindungen erklärt worden. So versichern die Mutter und die Gattin des Beschuldigten, daß er niemals Schul­den gehabt, niemals gespielt, niemals Beziehungen zu einer Abenteurerin unterhalten habe, daß er noch jetzt ein verfügba­res Vermögen von 400000 Fr. besitze und daß er niemals ein Ge­ständnis abgelegt habe, vielmehr fest überzeugt sei, daß er seine

27 Eduard Drumont, Das verjudete Frankreich. Autorisierte deutsche Über­setzung von A. Gardon, Berlin: A. Deubner 1890, S.30Oft.