Dreyfus
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Unschuld werde nachweisen können. Der öffentlichen Meinung gilt er trotz dieser Vertheidigungsversuche für einen Überführten, und man stellt nur darüber Vermuthungen an, welche Strafe er verwirkt haben möge. Zuschriften an die Blätter fordern für ihn den Tod ohne weitere Umstände. Die Wohlwollenden wollen, daß er erschossen werde. Aufgeregte Vaterlandsfreunde erzählen bedeutungsvoll, wie man in - China verräterische Offiziere behandle: man reiße ihnen mit der Zange die Zunge aus(,) zerschmettere ihnen mit Hammer und Meißel die Zähne, zerquetsche ihnen die Nase, stülpe ihnen die Augenlider um, und brenne sie an der Innenseite mit einem glühenden Eisen, schneide ihnen nach einander die Hände und Füße ab, führe ihnen anders als durch den Mund siedendes Oel in den Leib ein u.s.w. Wenn auch nicht ausdrücklich gesagt wird, daß man Dreyfus all diesen Martern unterwerfen solle, so liegt doch eine derartige Nutzanwendung des angeführten Beispiels nahe. Eine besondere Genugtuung gewährt der Fall natürlich den antisemitischen Blättern. Die >Libre Parole< klagt wegen des einen jüdischen Hauptmanns alle jüdischen Offiziere des Heeres der Verrätherei an und verlangt ihre Ausstoßung. Antransi- geant< wüthet Tag für Tag gegen den Kriegsminister, der die Untersuchung gegen Dreyfus niederschlagen wolle, weil es sich um einen juden handle und einem Juden kein Haar gekrümmt werden dürfe, u.s.w. Selbst Hr. Henri Fouquier leistet diesem Treiben mittelbar Vorschub, indem er die alberne Anekdote erzählt, Dreyfus habe einst bei einem Wettbewerb um seiner Abstammung willen von einem judenfeindlichen Prüfer eine ungerechte Note bekommen und in seiner tiefen Erbitterung damals geschworen, sich für diese Zurücksetzung zu rächen. Dieser tollen Rederei wird erst eine amtliche Aufklärung oder eine Gerichtsverhandlung ein Ende machen, und es wäre nur zu wünschen, daß dies bald geschehe .« 28 *
Ohne diesen Korrespondentenbericht überbewerten zu wollen, läßt sich so viel feststellen, daß Nordau schon eine Woche nach
28 Vossische Zeitung, 10.11.1894, Morgenausgabe, S. 10, mittlere Spalte. Der Beitrag ist, wie bei allen politischen Korrespondentenberichten in der Vossi- schen Zeitung, nicht namentlich gezeichnet.