Dreyfus
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list zu dieser inszenierten, öffentlichen Demütigung des Artilleriehauptmanns Alfred Dreyfus offiziell eingeladen worden, denn die Affäre hatte, schon wegen des durch sie gespannten Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland , längst internationale Dimensionen angenommen: Die französische Armee ließ vor Hunderten von Zuschauern und den angetretenen Regimentern der Garnison von Paris einem wegen Spionage für Deutschland verurteilten Hochverräter die Epauletten und die Knöpfe seiner Uniform herunterreißen sowie seinen Offizierssäbel zerbrechen. Und in den Straßen rund um die Ecole Militaire und um deren hohen Gitterzaun ist eine nach Tausenden zählende Menge von Gaffern versammelt, unter denen Rufe wie »A mort les juifs!« laut werden.
Ein anderer, ebenfalls aus Berufsgründen anwesender Zuschauer des Degradierungs-Zeremoniells ist Theodor Herzl , der Korrespondent der Wiener Neuen Freien Presse. Es ist dies eine Schlüsselszene für die Entstehung des modernen Zionismus, sicherlich für Herzl 32 , wahrscheinlich auch für Nordau. Denn mit Alfred Dreyfus wird nicht irgendein französischer Offizier degradiert und gedemütigt, hier wird auf dem Hof der Ecole Militaire - wie schon im Prozeß und der Pressekampagne zuvor - trotz aller Unschuldsbeteuerungen und -indizien ein französischer Jude als Jude an den Pranger gestellt. Zwar spielt seine jüdische Herkunft bei dem vollkommen assimilierten Dreyfus in den offiziellen, staatlichen Dokumenten zur Affäre keine Rolle und bleibt unerwähnt, aber in einem Teil der Zeitungen und auf der Straße will man den Kopf des Juden.
Daß in der ganzen Affäre für die Öffentlichkeit die jüdische Herkunft von Alfred Dreyfus überhaupt eine Rolle spielte, dokumentierte für Herzl wie für Nordau das Scheitern der Assimilation. Die Antisemiten hassen in Alfred Dreyfus nicht einen französischen Spion der Deutschen , sie hassen in ihm einen jüdischen Hochverräter, der durch seinen Verrat vermeintlich den Beweis dafür geliefert hatte, daß Juden niemals >echte< Franzosen sein können. »Ju das « ist das meistgebrauchte Epithet für diesen in Wirklichkeit unschuldigen Offizier, das neutestamentliche Judas -Klischee steht einmal mehr für >den< jüdischen Verräter schlechthin und verfehlt
32 Vgl. Julius H. Schoeps , Theodor Herzl über die Dreyfus-Affäre, Wien 1994.