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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Nordau und Herzl

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erfolgreich die ersten Feuilletons von Nordau in der Neuen Freien Presse veröffentlicht 53 , darunter Auf höherer Warte, der erste sei­ner später berühmt gewordenen Jahresrückblicke, die Nordau zu jedem Jahreswechsel bis zum Ersten Weltkrieg dort publiziert. So­nach hat Herzl Nordau lange Monate vor dessen Zustimmung und vor dessen Engagement für den Zionismus aus Gründen beruf­licher Wertschätzung für die Neue Freie Presse gewonnen.

Noch eine weitere Tatsache sollte uns hindern, die Verpflichtung Nordaus als Feuilletonist der Neuen Freien Presse in einen Zusam­menhang mit dem Zionismus zu bringen: Eduard Bacher (1846- 1908), der Herausgeber, und Moritz Benedikt (1849-1920), der kaufmännische Leiter der Zeitung, hätten angesichts ihrer be­kannten antizionistischen Haltung den Zionisten Nordau sicher­lich nicht jahrzehntelang beschäftigt, wenn sie nicht von der pro­fessionellen Qualität seiner Arbeit überzeugt gewesen wären. Wie im Falle Herzls haben sie später die zionistischen Aktivitäten Nord­aus als Privatsache behandelt und ihn als Feuilletonisten ihres Blat­tes dennoch unbehelligt gelassen. Das und auch der Umstand, daß Nordau nach dem Tode Herzls 1904 ohne jede Unterbrechung oder Änderung des Verhältnisses bei der Neuen Freien Presse weiterar- beiten konnte, spricht für die professionelle Wertschätzung ihrer Herausgeber und Redakteure für den ja durchaus nicht unumstrit­tenen Nordau.

Das Band Nordaus zur Neuen Freien Presse reißt nicht einmal ganz ab, als Nordau im Ersten Weltkrieg als feindlicher Ausländer - er hat seit je einen ungarischen Paß - Paris überstürzt verlassen muß und ohne Arbeit in Madrid strandet. Obwohl sich in Wien niemand mehr für die Kultur in der Hauptstadt des Kriegsfeindes interessiert, kann Nordau noch einige wenige Feuilletons zu ande­ren Themen unterbringen. Bis zu seinem Schlaganfall 1921, der al­les Schreiben schlagartig beendete und 1923 zu seinem Tod führte, konnte Nordau ab und an noch Feuilletons in der Neuen Freien Presse publizieren und so in der Not dieser Jahre ein wenig Geld verdienen.

Ab November 1895 war Nordau für die zionistische Idee gewon­nen und half Herzl bei ihrer Propagierung zunächst durch Reden,

53 Z. B. »Marsfeldsalon-Typen« am 7.5.1895.