Druckschrift 
Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
Seite
283
Einzelbild herunterladen

Nordau und Herzl

283

Rede- und Diskussionsveranstaltungen über den Zionismus zu verbinden: in jüdischen Burschenschaften, bei den Turnern, den jüdischen Wohltätigkeitsorganisationen und auch in den Gemein­den.

Herzl macht unterdessen große Politik. Für die Sache des Juden­staats hatte er den britischen Reverend William Henry Hechler ge­wonnen, der Herzl eine Audienz beim Großherzog von Baden am 24. April 1896 in Karlsruhe verschaffte. Der Großherzog, Onkel und Berater des deutschen Kaisers Wilhelm II. , auf den er, so die Ab­sicht Herzls, Einfluß nehmen sollte, reagierte wohlwollend auf Herzls mündliche Ausführungen. Im Juni dann fährt Herzl auf Ver­mittlung des undurchsichtigen Philipp Michael Ritter von New- linski zur Hohen Pforte nach Konstantinopel , um den türkischen Sultan und damit den Machthaber über Palästina zu treffen. Aber Herzl bekommt den Sultan nicht zu sehen und reist unverrichteter Dinge wieder ab. Nach einem weiteren Aufenthalt in London trifft er hingegen am 18. Juli 1896 den Bankier Edmond de Rothschild in Paris . Das Gespräch verläuft ergebnislos, denn Rothschild hält Herzls Pläne für undurchführbar und ist, obwohl Herzl darum gar nicht nachgefragt hatte, schon gar nicht bereit, Geld dafür lockerzu­machen. 60 Erfreulicher sind die Gespräche mit dem Pariser Grand Rabbin de France Zadok Kahn, der dem Zionismus gegenüber auf­geschlossen ist und über die Jahre auch zum Gesprächspartner von Nordau wird. Obwohl Nordau sich in seinen Äußerungen stets viel strikter antireligiös gibt als der weltanschaulich nicht so festgelegte Herzl, verkehrt er nach seiner Wendung zum Zionisten doch wie­der mit Rabbinen und in jüdischen Gemeinden; er betritt sogar Synagogen.

In der ersten Jahreshälfte von 1896 arbeitet Nordau ununterbro­chen an seinem dickleibigen, zweibändigen Roman Die Drohnen­schlacht. Es ist die erste größere Arbeit seit Entartung, das wie die Theaterstücke Nordaus bei der Kritik durchgefallen war. Insofern steht Nordau unter Druck, sein Selbstbewußtsein hat unter den At­tacken der Kritiker doch gelitten, und er ist Freunden wie von Jagow oder Herzl für ihre Anerkennung seiner schriftstellerischen Arbeit

60 Herzl, Briefe und Tagebücher, Bd. II, S.409-412; vgl. zusammenfassend: Schoeps, Theodor Herzl , S. 54-57.