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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Nordau und Herzl

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da wohl noch verborgen, aber ob gewollt oder nicht, Nordau steht kurz davor, mit einem Schlag das Haupt und der Hauptverdiener einer Großfamilie zu werden. Er hat sich dieser Verantwortung ge­stellt, ist offensichtlich gerne Vater gewesen und hat auch die vier Kinder aus der Ehe der Kaufmanns an- und aufgenommen.

Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der wilhelminischen Män­nerfreundschaft mit von Jagow, daß er just in der Woche, als seine Tochter Maxa am 10. Januar 1897 in der Wohnung Anna Kauf­manns in der Rue de Miromesnil mit seinem ärztlichen Beistand geboren wird, 65 diesem brieflich nur mitteilt: »Ich war in der gan­zen Woche ärztlich überaus in Anspruch genommen, so daß ich wiederholt selbst um die Nachtruhe kam.«^ Er bekennt sich noch nicht zur nichtehelichen Geburt seiner Tochter. Aber der­selbe von der Geburt nicht in Kenntnis gesetzte Eugen von Jagow wurde dann dennoch nur wenige Monate später an einem heute nicht mehr bekannten Termin der Taufpate von Maxa. Schon aus dem Sommerurlaub 1897, den Nordau mit Anna Kaufmann und ihren Kindern en famille verbringt, berichtet er dem »Paten« von Jagow über seine Vorbereitungen auf den ersten Zionistenkongreß in Basel und über die Freuden und Leiden seiner kleinen Maxa. 67

In demselben Januar 1897, in dem Nordau privat durch die Ge­burt Maxas so sehr in Anspruch genommen ist, beschließt Herzl, einen »allgemeinen Zionstag« einzuberufen. Der Gedanke eines Kongresses der ganzen zionistischen Bewegung war gefaßt. Ihn galt es zu verwirklichen, um der Bewegung wieder Schwung und Auf­merksamkeit zu verschaffen. Der Judenstaat als die Lösung der Ju­denfrage sollte propagiert werden. Das mußte den Widerstand der gesamten liberalen jüdischen Welt hervorrufen, denn eine öffent­liche Diskussion darüber, daß wegen der Verfolgung der Juden in Osteuropa und wegen des Scheiterns der jüdischen Assimilation in Westeuropa nun ein Judenstaat die Lösung der Judenfrage bringen sollte, mußte in den Ohren der Assimilierten wie eine Bestärkung der Antisemiten klingen, die seit je behauptet hatten, daß noch die

65 Mündliche Auskunft von Mme. Maxa Nordau-Gruenblat im Juli 1991.

66 Brief Nordau - von Jagow, Paris, 16.1.1897, ZZA A 119 / 283 / 248.

67 Vgl. Brief Nordau - von Jagow, Ste. Honorine-des-Pertes, 15.8.1897, ZZA A 119/283/271.