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Dreyfus und die Folgen
der zu seiner Begründung noch für seine Zwecke; noch nicht einmal den Ort des zukünftigen Judenstaates läßt er sich von ihr vorgeben.
Ausgerechnet Güdemann, der Oberrabbiner, predige hingegen die Assimilation. Denn wer verkünde, Kosmopolitismus sei die »Mission des Judentums«, der betreibe das Geschäft der Assimilation. Aber darin, so höhnt Nordau, habe Güdemann ja durchaus würdige Vorgänger, und verweist auf die evangelisch getauften Mendelssohns und den zum Katholizismus konvertierten Sabba- tianer Jacob Frank. 73 Das ist, aus Nordaus Feder, keine weltanschauliche Absage an den Kosmopolitismus und Universalismus per se, aber es ist eine Absage an die liberale jüdische Überzeugung, die Verbreitung des ethischen Universalismus unter den Völkern sei das essentielle Kennzeichen, die Aufgabe oder gar das Wesen des Judentums. Für Nordau sind die Juden ein Volk, nicht ein aus längst vergangenen historischen Ereignissen hervorgegangener Haufen von Kosmopoliten ohne sonst ein einigendes Band. Und hier, als Zionist, bekennt sich Max Nordau, der Weltbürger, Wahl- Pariser und international bekannte Schriftsteller, das erste Mal öffentlich zu diesem Volk und zu seinem Jude-Sein.
Doktor Kohn
Parallel zum ersten öffentlichen Bekenntnis als Zionist beschäftigt Nordau die Judenfrage, die Assimilation, das Problem der Taufe und das der Mischehe zwischen Juden und Nichtjuden auch künstlerisch. Schon Ende März 1897 berichtet er von Jagow über seine Arbeit an einem neuen Stück, das er »Dr. Kohn« nennen will. 74 Offenbar hat er von Jagow und Anna Kaufmann seiner Gewohnheit gemäß Teile daraus vorgelesen: »Über das Dr. Kohn-Problem denke ich noch fortwährend nach, auch in Ihrem Sinn. Hoffentlich gestaltet sich mir etwas organisch, nach den Gesetzen innere Nordau, Zionistische Schriften, S. 11 f.
74 Brief Nordau-von Jagow, Paris, 24.3.1897, ZZAA 119/283/257.