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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Dreyfus und die Folgen

der zu seiner Begründung noch für seine Zwecke; noch nicht ein­mal den Ort des zukünftigen Judenstaates läßt er sich von ihr vorge­ben.

Ausgerechnet Güdemann, der Oberrabbiner, predige hingegen die Assimilation. Denn wer verkünde, Kosmopolitismus sei die »Mission des Judentums«, der betreibe das Geschäft der Assimila­tion. Aber darin, so höhnt Nordau, habe Güdemann ja durchaus würdige Vorgänger, und verweist auf die evangelisch getauften Mendelssohns und den zum Katholizismus konvertierten Sabba- tianer Jacob Frank. 73 Das ist, aus Nordaus Feder, keine weltan­schauliche Absage an den Kosmopolitismus und Universalismus per se, aber es ist eine Absage an die liberale jüdische Überzeugung, die Verbreitung des ethischen Universalismus unter den Völkern sei das essentielle Kennzeichen, die Aufgabe oder gar das Wesen des Judentums. Für Nordau sind die Juden ein Volk, nicht ein aus längst vergangenen historischen Ereignissen hervorgegangener Haufen von Kosmopoliten ohne sonst ein einigendes Band. Und hier, als Zionist, bekennt sich Max Nordau, der Weltbürger, Wahl- Pariser und international bekannte Schriftsteller, das erste Mal öf­fentlich zu diesem Volk und zu seinem Jude-Sein.

Doktor Kohn

Parallel zum ersten öffentlichen Bekenntnis als Zionist beschäftigt Nordau die Judenfrage, die Assimilation, das Problem der Taufe und das der Mischehe zwischen Juden und Nichtjuden auch künst­lerisch. Schon Ende März 1897 berichtet er von Jagow über seine Arbeit an einem neuen Stück, das er »Dr. Kohn« nennen will. 74 Of­fenbar hat er von Jagow und Anna Kaufmann seiner Gewohnheit gemäß Teile daraus vorgelesen: »Über das Dr. Kohn-Problem denke ich noch fortwährend nach, auch in Ihrem Sinn. Hoffent­lich gestaltet sich mir etwas organisch, nach den Gesetzen inne­re Nordau, Zionistische Schriften, S. 11 f.

74 Brief Nordau-von Jagow, Paris, 24.3.1897, ZZAA 119/283/257.