Druckschrift 
Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
Seite
289
Einzelbild herunterladen

Doktor Kohn

289

rer Notwendigkeit.« 75 Während im Juni Ein Tempelstreit er­scheint, brütet Nordau über seinem Stück. Ende Juli ist es geschafft, Nordau schreibt den vierten und letzten Aufzug in wenigen Tagen, verschickt den Text an Oskar Blumenthal und fährt am 1.8.1897 mit Anna Kaufmann und den Kindern nach Ste. Honorine-des-Per- tes (Calvados) in den Sommerurlaub an die See, um sich vor dem ersten Zionistischen Kongreß in Basel auszuruhen und seine dort zu haltende Rede vorzubereiten. 76

Mitte September, nach dem Kongreß, ist Nordau ein paar Tage in Berlin und trifft Blumenthal, der Doktor Kohn lobt, dann aber im Oktober eine Aufführung im Lessingtheater für unmöglich erklärt und von vornherein absagt. 77 Auch an mehrere andere Agenturen hat sich Nordau zwecks Vermittlung seines Stücks an ein deut­sches Theater noch gewandt. Vergeblich. Wegen seiner Aussagen über die Unmöglichkeit der Assimilation und gegen die Mischehe, nicht der künstlerischen Form wegen, galt es als nicht akzeptabel und ist nie auf einer deutschen Bühne gespielt worden. Nach einer weiteren Umarbeitung im November 1897 gab Nordau es bei sei­nem Theater-Verleger Emst Hoffmann in den Druck. In dessen Verlag erschien dann 1898 Doktor Kohn. Bürgerliches Trauerspiel aus der Gegenwart. In vier Aufzügen. Von Max Nordau. Der In­halt dieses »bürgerlichen Trauerspiels« ist eng verwandt mit dem von Herzls Drama Das neue Ghetto. Es illustriert Nordaus tiefste zionistische Überzeugungen.

Dr. Leo Kohn, Privatdozent der Mathematik, der gerade einen internationalen Preis für Mathematiker gewonnen hat, kann an einer kleinen mitteldeutschen Universitätsstadt als Jude nicht Pro­fessor werden. An der Universität wie im privaten Kreis von Kolle­gen und Studenten antisemitisch angefeindet, will er Christine Mo­ser, die Tochter des Geheimen Kommerzienrathes Moser, eines protestantisch getauften und vollkommen assimilierten Juden,

75 Brief Nordau - von Jagow, Paris, 20.4.1897, ZZA A 119/283/259. Zu Anna Kaufmann vgl. auch die Passagen in: Max Nordau. Erinnerungen, S. 186f.

76 Vgl. Briefe Nordau - von Jagow, 17.7.1897, 25.7.1897, 31.7.1897, 4.8.1897, ZZA A 119/283/265-270.

77 Briefe Nordau - von Jagow, Paris, 14.9.1897 u. 30.10.1897, ZZA A 119/ 285/275 u. 280.