I. Zionistenkongreß in Basel
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Antisemitismus gibt Nordau dem eigenen Ressentiment Raum: nicht in den Reichen, im Schnorrertum sieht er den »Krebsschaden« des Judentums am Ende des 19. Jahrhunderts. Seine Rede schließt er mit einem Appell an die christlichen Völker, denen die von ihm geschilderte Judennot nicht gleichgültig sein könne. Denn diese könnten am Ende dazu gelangen, den »durch ihre Schuld zum Schädling gewordenen Juden auszurotten«. 89 Fazit: Angesichts der schlechten Situation der Juden in Osteuropa und angesichts der »sittlichen Judennot« in Westeuropa, in der Juden trotz Emanzipation und selbstverleugnerischer Assimilation weiterhin gehaßt und zu Sündenböcken für alle Übel gemacht werden, sollten auch die christlichen Staaten im eigenen Interesse den Zionismus unterstützen.
Die von Nordau frei gehaltene Rede machte bei den 197 Delegierten, aber auch bei der Presse ungeheuren Eindruck. 90 Nordau war durch sie öffentlich als der zweite Mann des Zionismus hinter Herzl ausgewiesen. Das erste Mal schrieben die sehr zahlreich anwesenden Journalisten über Nordau nicht als Autor, sondern als öffentliche, politische Person und einen der Führer der zionistischen Bewegung. Ab diesem Tag ist Nordau kein Privatmann mehr, der in der Öffentlichkeit nichts als seine eigene Meinung vertritt, nun ist er Repräsentant des Zionismus. Und er will das auch sein.
In der Programmkommission ist er federführend bei der Ausfor- mulierung des Gründungsmanifestes der zionistischen Bewegung, des Baseler Programms. Das Baseler Programm wird am zweiten Tag des Kongresses, Montag, den 30. August 1898, von den Delegierten verabschiedet. Sein erster Satz gibt der zionistischen Bewegung ihr Ziel vor: »Der Zionismus erstrebt für das jüdische Volk die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina.« Ferner beschloß der Kongreß die Gründung eines Aktionskomitees (und damit einer Exekutive), das seinen Sitz in Wien hatte und damit ganz unter dem Einfluß Herzls stand - was
89 Nordau, Zionistische Schriften, S. 64.
90 Für die Darstellung des allgemeinen Verlaufs des Kongresses vgl. Alex Bein, Theodor Herzl, die Stenographischen Protokolle und Walter Laqueur, A History of Zionism, New York 1972.