Die Drohnenschlacht
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Haus aus gegen jeden Zwang in Gefühldingen und stelle das Menschliche über das Nationale. Aber heute bin ich zu stärkerer Betonung des Nationalen getrieben und halte Mischehen für durchaus unwünschenswerth. Würde ich meine Frau heute kennenlernen, hätte ich sie in den letzten anderthalb fahren kennen gelernt, ich hätte jede aufkeimende Neigung in mir mannhaft bekämpft und mir gesagt, daß ich als Jude nicht das Recht habe, meine Gefühle frei walten zu lassen. Das ist ja eine eng gebundene Haltung, aber diese Haltung ist uns vom Kriegszustand auf- erlegt. Ich habe aber meine Frau früher geliebt, als ich Zionist war, und hatte nicht das Recht, die Verfolgung unseres Stammes durch den ihrigen gerade an sie heimzuzahlen.
Sie halten mich nicht für eine genug niedrige Seele, - das weiß ich, - um in dem Vorstehenden ein Plaidoyer für Zubilligung mildernder Umstände zu sehen. Es soll Ihnen nur erklären, weshalb ich mich immer so entschieden weigerte, eine erklärte, amtliche Führerrolle in der Bewegung zu übernehmen. Als Soldat bin ich gut und werde es bleiben, so weit es an mir liegt; als Führer würde ich die Bewegung schwächen und gefährden, denn ich würde unseren bedenkenfreien Feinden das Argument zu leicht machen: >Seht da den Muster-Zionisten, der eine Christin heira- tet!< (...).« 95
Herzl versucht Nordau in seinem Antwortbrief mit der Erklärung zu beruhigen, daß er aus innerzionistischer Perspektive diese Heirat für nicht problematisch halte 96 , aber das kann wiederum nichts an Nordaus felsenfester Entschlossenheit ändern, Herzl nicht als Führer der Bewegung ablösen zu wollen. Und die öffentlichen Attacken von Feinden des Zionismus gegen seine Heirat in Der Israelit und in der Oesterreichischen Wochenschrift aus der Zeit vor dem II. Zionistenkongreß im Mai und Juni 1898 geben ihm recht. 97
95 Brief Nordau - Herzl, Paris, 22.1.1898, ZZA H VIII 615. Nordau hat in kleiner Schrift am Briefende noch hinzugefügt: »Ich habe begreiflicherweise jede unnöthige und geschmacklose Öffentlichkeit streng vermieden.«
96 Vom Antwortbrief Herzls an Nordau ist, ohne daß ein Originaldokument vorläge, in Übersetzung ein Fragment wiedergegeben in: Anna Nordau, Max Nordau. Erinnerungen, S. 178f. Vgl. Herzl, Briefe und Tagebücher, Bd. IV, s -412f. u. 696.
97 Vgl. Herzl, Briefe und Tagebücher, Bd. IV, S. 481,488f., 495,714f.