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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Die Drohnenschlacht

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lichkeit hinsichtlich einer Wiederaufnahme des Verfahrens von Dreyfus, die dessen Unschuld beweisen sollte. Der Fall Dreyfus wurde nicht zu den Akten gelegt und vergessen, sondern mußte neu aufgerollt werden. Das Fehlurteil über Dreyfus, der seit drei Jahren unter barbarischen Umständen auf der Teufelsinsel inhaftiert war, wuchs sich zu einem politischen Skandal aus, der am Ende die Spit­zen des französichen Geheimdienstes, den Generalstabschef und mehrere Kriegsminister zu Fall brachte.

Vorerst indessen gingen die Militärs juristisch und publizistisch in die Gegenoffensive: Anfang Februar 1898 wurde Zola selbst we­gen Geheimnisverrats angeklagt und am 23. Februar verurteilt; er flieht vor der drohenden Inhaftierung im Juli nach London. Die »Dreyfusards«, jene Publizisten und Politiker, die von der Un­schuld Dreyfus überzeugt waren und für die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen ihn eintraten, wurden in der antisemitischen Presse wüst attackiert und ebenfalls dem Verdacht ausgesetzt, mit dem Erbfeind Deutschland zu paktieren und als Teil einer jüdi­schen Verschwörung für die Freilassung des »Judas« Dreyfus zu kämpfen. Und der bekannte Zionist und Literat Nordau war mit einigen der wichtigsten Dreyfusards gut bekannt; er unterstützte deren Sache.

Von Anfang an hatte er Zweifel an der Schuld von Dreyfus ge­habt. Er kannte den Militärattache Maximilian von Schwartzkop- pen, der ihm auch in einem privaten Gespräch irgendwann 1896 versichert, nie mit Dreyfus Kontakt gehabt zu haben. Wie alle wuß­ten, war eine solche vertrauliche Mitteilung etwas anderes als die inhaltlich gleichlautenden offiziellen Dementis, die der Major von Schwartzkoppen von Amts wegen abgeben mußte, um den Spio­nageverdacht von seiner eigenen Person, der deutschen Botschaft und dem Deutschen Reich abzuwenden. Für Nordau mußte Drey­fus aufgrund dieser vertraulichen Mitteilung und nachdem auch andere entlastende Umstände bekanntgeworden waren, als erwie­senermaßen unschuldig gelten.

Schwartzkoppen war schon 1897 ans Außenministerium nach Berlin versetzt und damit aus der Schußlinie der französischen Mi­litärs, der Diplomatie und Publizistik gebracht worden. Als Nordau ihn dort aufsucht und bittet, seine private Äußerung auch öffentlich zu wiederholen, weigert sich von Schwartzkoppen, da er mit eini-