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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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II. Zionistenkongreß in Basel

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dringlicher Brief vom Oktober 1898 an Eugen von Jagow spüren: »(...) Wer weiß, ob wir nicht bald so weit sind, es als rettendes Glück betrachten zu müssen, wenn man rechtzeitig ausgewie­sen wird. Es ist Blutgeruch in der Luft. Ich bin Fatalist und werde nicht freiwillig von meinem Posten weichen. Aber ich halte eine Bartholomäusnacht gegen die Juden nicht nur für möglich, sondern für absehbar nahegerückt. In Europa wird \ man über eine derartige Annahme als über ein drolliges Hirnge­spinst lachen, bis eine Meldung aus Paris kommt, die die An- \ zahl der Leichen angibt oder auch - verschweigt .« 103

Nordaus Befürchtungen bestätigen sich nicht. Aber wenn der | Antisemitismus in der fortgeschrittensten Republik Europas zu ; einem Punkt anwachsen konnte, daß ein Massaker an den Juden zu befürchten war, konnte Nordau seinen Einsatz für den Zionis­mus mit der Forderung nach einem Judenstaat nur bestärkt fühlen.

| Die Zentrale und die Arbeit in der Exekutive bleiben Herzl in Wien.

II. Zionistenkongreß in Basel

Seine Kongreßrede auf dem II. Zionistenkongreß hielt Nordau am 28. August 1898. Die Echos der Dreyfus-Affäre und der sie begleiten­den antisemitischen Kampagne hallen in dieser Rede wider. Das erste Mal überhaupt setzt Nordau den Zionismus in ein Verhältnis zu dieser Affäre, das erste Mal dient sie nicht bloß als Aufhänger, sondern als aktuelle Rechtfertigung des zionistischen Ansinnens. Bei der Schilderung der Pogrome in Rumänien und Galizien oder der unverändert schlechten Lage der Juden in Rußland hält sich Nordau nur kurz auf. Denn: »...siehe da - auch der vorgeschrit­tene Westen bietet'uns ja einen ganz ähnlichen Anblick Z« 104 »Frankreich, das Frankreich der großen Umwälzung und der Er­klärung der Menschenrechte, das Land, das zuerst Europa das

103 Brief Nordau-von Jagow, Paris, 25.10.1898, ZZA A119/283/309.

104 Nordau, Zionistische Schriften, Bd. I, S. 69f.