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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Wien, Paris, Madrid, London, Paris

interessantes und abwechslungsreiches Bild vom Kulturleben der Belle Epoque in Paris . 2

Unter den Feuilletons befinden sich nämlich auch solche, die dem Metropolen-Alltag in Paris, der Mode, der Frauenemanzipa tion, der Bedeutung des Sports oder der Kriminalitätsrate gewidmet sind oderauf Reisen durch Europa aufgezeichnet wurden. Hier, wie auch in den berühmten politischen Jahresrückblicken zur Jahres­wende mit dem Titel Das Jahr ... in der Weltgeschichte, die er zwanzig Jahre lang für die Neue Freie Presse verfaßte, ist Nordaus Weltanschauung nur bisweilen zu spüren; dagegen bricht sich Neu­gier und ein Interesse für politische und soziale Neuerungen Bahn, das nicht wie die Kunstkritik von vornherein festgelegt und damit in den Ergebnissen bis zur Langeweile vorhersehbar ist. Hier seien nur einige dieser Feuilletons beispielhaft genannt, die nolens vo- lens zwanzig Jahre Pariser Kulturgeschichte schreiben.

Programmatisch ist gerade die seitens der Redaktion umstrittene Rezension, in der Nordau Lhommes La comedie daujourdhui lobend bespricht, ein Buch, welches seinerseits an Nordaus Ent­artung anknüpft und über Mallarme, Verlaine, die Gebrüder Gon­court und Maupassant herfällt. Nordau schreibt hier aufschluß­reiche Passagen zu seinem Selbstverständnis als Kritiker und zum Unterschied von Feuilleton und wissenschaftlicher Kritik. Das Kulturfeuilleton unterliegt, so Nordau, den Regeln der Massen­suggestion:

»Ich bin von der vollkommenen Ohnmacht jeder verneinen­den Kritik an Jemandem, der bereits seine Gemeinde hat, zu fest überzeugt, um mit ihr jemals meine Zeit zu verlieren. Kritik wie Kunst wirken durch Suggestion. Solche ist aber nur möglich, wenn nicht zuvor schon eine mächtigere Suggestion von der Seele des zu Beeinflussenden Besitz ergriffen hat. Ist dem Publicum einmal weisgemacht worden, daß es für dieses oder jenes Werk zu schwärmen hat, so widersteht es jedem Beweise der Werthlosig- keit dieses Werkes, denn seine Empfindung von dem Werke ist der Verstandessphäre entrückt und in die Gefühlssphäre verlegt, in die Vernunftgründe niemals eindringen können. Jeder Tadel

2 Vgl. Paris. Belle Epoque. Faszination einer Weltstadt, Ausstellungskatalog hg. v. d. Kulturstiftung Ruhr Essen, Recklinghausen 1994,576 S.