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Wien, Paris, Madrid, London, Paris
Moralist, sondern Anthropologe an. Und ich wäre begierig, zu wissen, ob sie sich zu einer Dauerform entwickeln wird. Ich glaube nicht. Sie ist schwerlich fortpflanzungsfähig. Sie kann sich wohl nur durch Zufluß von außen erneuern. Schade. Sie ist in vieler Hinsicht so interessant, die im Weltstadttumult und elektrischen Lichtmeer geborene neue galoppierende Spielart der Menschengattung.« 8
Zurück zur Kunst: Die Pariser Uraufführung von Richard Strauss’ Salome im Jahr 1907 ärgert Nordau doppelt. Einerseits sei die Figur der Salome sexuell entartet, weil sie Fetischistin ist, andererseits soll der Antisemitismus von Strauss trotz dessen musikalischer Könnerschaft und trotz des Beifalls der Assimilierten attak- kiert werden.
»Salome zeigt erotischen Fetischismus und Nekrophilie, zwei Verirrungen des Triebes, die nur bei entarteten Männern, doch nie bei pathologisch erregten Weibern beobachtet werden. Ich muß es mir versagen, auf den Gegenstand näher einzugehen. Solche Dinge umständlich zu erörtern, ist nur auf einem klinischen Lehrbuch und - auf der heutigen deutschen Bühne möglich. (...) Ehe die Juden auftreten, kündigt ein Gepolter und ein Geschnatter sie an, jener besondere hochtönige, schreiende Lärm, den man sprichwörtlich einer Judenschule zuschreibt und den man in der Stunde des regsten Geschäfts an der Börse hört. (...) Die fünf Juden haben krumme Nasen und dünne Zweispitzbärte. Sie gehen krummbeinig und plattfüßig. (...) Habe ich erwähnt, daß die feinen Jüdinnen, wie in Berlin, so in Paris, von der >Salome< bis zur Bewußtlosigkeit begeistert waren? Wie sollten sie auch nicht, nach der Fünf-Juden-Episode!
So schön sie ist, habe ich doch einige Bedenken gegen sie. Wenn ich Flavius Josephus glauben darf, waren die Juden des he- rodischen Zeitalters keine karikaturalen Possenfiguren, sondern furchtbare Krieger (...). Titus lachte nicht über sie. Er kannte eben Houston St. Chamberlain noch nicht. Modern gebildete Männer wissen es besser. Und Richard Strauss, sein Regisseur und seine Judenquintettdarsteller sind modern gebildete Männer.« 9
8 NFP V. 16.10.1906.
9 NFP v. 12.5.1907.