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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Die Feuilletons in der Neuen Freien Presse

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Hoch interessant auch in Hinsicht auf seinen Zionismus ist Nordaus Auseinandersetzung mit der Pazifistin Bertha von Sutt­ner. Diese ruhige Würdigung der Pazifistin ist sehr gentlemanlike und gepflegt. Für Nordau unüblich, ist sie gänzlich unpolemisch und läßt doch das vom »Kampf ums Dasein« überzeugte, wenig pazifistische Menschenbild Nordaus nur zu deutlich und bekennt­nishaft erkennen.

»[Frau von Suttner] verwirft die Folgerung: es war, also wird es immer sein, als groben Trugschluß. An den Friedenstrieb des Menschen glaube ich nicht. Ich glaube, er ist seinem Wesen nach eine immer zum Krakehlen aufgelegte, rauflustige Bestie. Er ist sehr zufrieden, wenn man ihn in Ruhe läßt, jedoch immer bereit, über einen anderen herzufallen, den er für schwächer hält. Das Zurückschießen mißfällt ihm tief; aber gegen das Hinschießen hat er nie etwas einzuwenden. Frau v. Suttner hält diese Psycho­logie für barbarisch, für unsittlich und was schlimmer wäre: für unwahr. Und doch wenn sie ganz aufmerksam in ihre eigene Seele blickt, wird sie an deren Grunde dunkle Regungen ent­decken, die nichts anderes sind als die alten Kampfinstinkte, die kanalisiert sind, wie ein wildes Alpengewässer, das in Turbinen geleitet, Glühlämpchen Elektrizität liefert und elektrothera- peutische Apparate mit Wechselströmen beschickt .« 10

Immer wieder gelten Feuilletons der Lage und dem Emanzipa­tionswillen der Frau. Wie schon in seinen Büchern seit den Con­ventionellen Lügen legt Nordau in dieser Frage gehörige Skepsis gegenüber der Frauenbewegung an den Tag und definiert die Rolle der Frauen in der Gesellschaft ganz biologistisch über ihre Gebär­funktion. Vorehelicher Geschlechtsverkehr bei Frauen ist kein An­laß fürs Moralisieren mehr, aber der Staat soll durch ein gesetz­liches Recht auf Mutterschaft und die Bereitstellung der nötigen Sozialleistungen für ledige Mütter sowie deren unehelich geborene Kinder dafür sorgen, daß diese nicht abtreiben oder sozial abrut- schen.

»Aber da liegt der Hase im Pfeffer: der kläglich rückständige Staat gewährt der jungen Dame, die ihm selbstlos einen kleinen Bürger geschenkt hat, keine Rente, das Recht auf Mutterschaft

10 NFP V. 10.12.1907.