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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Wien, Paris, Madrid, London, Paris

ner Zeit hat Nordau nur Verachtung. Auch sie verfallen dem Ver­dikt von Entartung und »Schmiererei«: »Aber wenn es mit der kin­dischen oder gassenjungenhaften Kleckserei nach dem Muster von Cezanne, Gauguin und Van Gogh nicht mehr gehen wird, wenn diese ruchlosen Schmierer gezwungen sein werden, Neues zu erfinden, dann wird ihre jämmerliche Gedankenarmut, ihre Phantasielosigkeit auch im Unfug offenbar werden .« 21 Mehr als zwanzig Jahre nach Erscheinen von Entartung hat Nordau seine Kriterien nicht verändert. Sie werden nur auf immer neue Künstler und Kunstwerke appliziert. Objektiv und in den Augen des Publikums hat sich die Kunstszene total gewandelt, nur Nordau bleibt der alte. Seine Kritik ist schon bei Niederschrift ver­altet, weil er das Neue von vornherein nicht wahrzunehmen ver­mag. Wenn Treue zu sich selbst eine Qualität ist, dann ist sie die vorherrschende Qualität der meisten seiner Feuilletons gewesen.

Karl Kraus

Es sind die über Jahrzehnte gleichbleibenden, von Veränderung und Lernen unbedrohten ästhetischen Globalurteile Nordaus, die den Ärger und den Spott von Karl Kraus hervorriefen. Dessen Geg­nerschaft zu Nordau ist nicht minder scharf wie die zur Neuen Freien Presse insgesamt. Nordaus Feuilletons finden in Kraus Fak- kel den mit Abstand härtesten Widerspruch. Und Kraus spart nicht mit Häme, wenn es Nordau, seine Weltanschauung und seinen Zio­nismus der Lächerlichkeit preiszugeben gilt. Anfang Januar 1901 widmet Kraus in der Fackel dem verhaßten Nordau einen ganzen Artikel: Nordau: Laokoon oder Ueber die Grenzen der Schreibe­rei und Frechheit. Dort heißt es zu Nordau:

»Gibt es einen Eckstein der Literatur- und Kunstentwicklung, an dem dieser saubere Flerr nicht schon seine kritische Nothdurft verrichtet hätte? (...) Und die bourgeoise Welt, die in Entsetzen geräth, wenn einer es wagt, aufgestelzte Modegrößen zu verklei-

21 NFP v. 7.10.1908