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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Doppelleben

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sucht, die Augen zu schließen, um nicht mit anzusehen, wie die gesamte gesittete Menschheit einem Abgrund der Zerstörung zu­taumelt (...).« 27

Doppelleben

Parallel zu seiner journalistischen Karriere verfolgt Nordau seine zahlreichen zionistischen Aktivitäten. Das erzwingt, wie bei Herzl, eine Art Doppelleben: Kein Wort über den Zionismus darf in den Artikeln für die Zeitungen fallen, für die er hauptamtlich tätig ist, zugleich aber wird in der Presse über ihn als Repräsentanten des Zionismus geschrieben. Paradox ausgedrückt: Nordau schreibt nicht nur Schlagzeilen, er macht auch Schlagzeilen.

Dieses Doppelleben wird anläßlich der Wiederaufnahme des Dreyfus-Prozesses im August 1899 in Rennes sehr deutlich. Als Korrespondent der Vossischen Zeitung kommt er am 6. August 1899 zur Prozeßeröffnung nach Rennes, fährt dann aber, obwohl der Prozeß weitergeht, vom 14. bis 16. August zum III. Zionisten­kongreß nach Basel und hält die erwartete Rede zur Situation der Judenheit in der Welt. In dieser Rede bringt Nordau erstmals in der zionistischen Bewegung öffentlich die These vor, die Juden müßten im zukünftigen Judenstaat in Palästina die Bevölkerungsmehrheit erringen. 28 Er hat also als einer der ersten Zionisten das Problem der in Palästina ansässigen arabischen Bevölkerung gesehen und thematisiert. Während Herzl auf die politische Souveränität pocht, fordert Nordau getreu seiner Weltanschauung, durch Ansiedlungs­politik biologisch-demographische Fakten zu schaffen. Im kolo­nialen Bewußtsein der kulturellen Überlegenheit und einer durch Siedlungsprogramme zu schaffenden demographischen Überle-

27 NFP, 1.1.1914.

28 Vgl. Michael Heymann, Nordau et les premiers congres sionistes 1897-1905, in: Delphine Bechtel, Dominique Bourel, Jacques Le Rider (Hg.), Max Nordau 1849-1923. Critique de la degenerescence, mediateur franco-alle- mand, pere fondateur du sionisme, Paris 1996, S. 303f.