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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Zeitgenössische Franzosen

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Am 2. Januar 1900 war Nordaus Mutter gestorben. Sie wurde auf dem Friedhof Montpamasse begraben. Ihr Tod hat große Verände­rungen zur Folge: Nordau zieht um in die Rue Leonie (heute Rue Henner) Nr. 8, wo er für die große Familie das ganze, heute noch existierende zweistöckige Hinterhaus im Hof anmietet. Denn nun erst konnte er, was die Größe der Wohnung im kleinen Eckhaus in der Avenue de Villiers nicht erlaubt hatte, seinen Haushalt mit dem seiner Frau Anna, deren vier Kindern aus der ersten Ehe und Maxa Zusammenlegen. Charlotte Südfeld, die einmal mehr mitzieht, wird für die Kinder »la tante Charlotte«. Nach der jahrzehntelangen Be­treuung ihrer Mutter widmet sie sich nun den Kindern.

Zeitgenössische Franzosen

Auch in der Neuen Freien Presse abgdruckt waren die meisten der Feuilletons Nordaus, die sich in dem ebenfalls 1901 im Berliner Verlag Emst Hofmann & Co erschienenen Buch Zeitgenössische Franzosen wiederfinden. Viel Mühe hat sich Nordau mit diesem Sammelband von »literaturgeschichtlichen Essays«, wie der Unter­titel verspricht, anscheinend also nicht gemacht. Seine Weltan­schauung und damit der Maßstab solcher Literaturgeschichte ist ohnehin ungebrochen diejenige von Entartung.

Das Buch hat drei Teile: »Romandichter«, »Die drei Fürsten« und »Dramatiker«. Im ersten Teil »Romandichter« werden Balzac, Michelet, Edmond de Goncourt, Anatole France, Guy de Maupas­sant, Barres und Frangois de Nion einzeln gewürdigt oder verris­sen. Balzac liest Nordau als Vorbereiter des späteren Naturalismus ä la Zola, an Edmond de Goncourt interessiert ihn die Eitelkeit und Monomanie von dessen post mortem erschienenen Tagebüchern. Anatole France hat Nordaus Sympathie, während Guy de Maupas­sant als irrer Syphilitiker und Pomograph abgestempelt wird. Des Antisemiten Maurice Barres Les deracines findet das Interesse Nordaus, weil der Roman einerseits in der Schilderung der Entwur­zelung von einigen jungen Lothringern im Paris der Dritten Repu­blik und ihrer Begegnung mit der Korruption des öffentlichen Le-