Zeitgenössische Franzosen
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Am 2. Januar 1900 war Nordaus Mutter gestorben. Sie wurde auf dem Friedhof Montpamasse begraben. Ihr Tod hat große Veränderungen zur Folge: Nordau zieht um in die Rue Leonie (heute Rue Henner) Nr. 8, wo er für die große Familie das ganze, heute noch existierende zweistöckige Hinterhaus im Hof anmietet. Denn nun erst konnte er, was die Größe der Wohnung im kleinen Eckhaus in der Avenue de Villiers nicht erlaubt hatte, seinen Haushalt mit dem seiner Frau Anna, deren vier Kindern aus der ersten Ehe und Maxa Zusammenlegen. Charlotte Südfeld, die einmal mehr mitzieht, wird für die Kinder »la tante Charlotte«. Nach der jahrzehntelangen Betreuung ihrer Mutter widmet sie sich nun den Kindern.
Zeitgenössische Franzosen
Auch in der Neuen Freien Presse abgdruckt waren die meisten der Feuilletons Nordaus, die sich in dem ebenfalls 1901 im Berliner Verlag Emst Hofmann & Co erschienenen Buch Zeitgenössische Franzosen wiederfinden. Viel Mühe hat sich Nordau mit diesem Sammelband von »literaturgeschichtlichen Essays«, wie der Untertitel verspricht, anscheinend also nicht gemacht. Seine Weltanschauung und damit der Maßstab solcher Literaturgeschichte ist ohnehin ungebrochen diejenige von Entartung.
Das Buch hat drei Teile: »Romandichter«, »Die drei Fürsten« und »Dramatiker«. Im ersten Teil »Romandichter« werden Balzac, Michelet, Edmond de Goncourt, Anatole France, Guy de Maupassant, Barres und Frangois de Nion einzeln gewürdigt oder verrissen. Balzac liest Nordau als Vorbereiter des späteren Naturalismus ä la Zola, an Edmond de Goncourt interessiert ihn die Eitelkeit und Monomanie von dessen post mortem erschienenen Tagebüchern. Anatole France hat Nordaus Sympathie, während Guy de Maupassant als irrer Syphilitiker und Pomograph abgestempelt wird. Des Antisemiten Maurice Barres’ Les deracines findet das Interesse Nordaus, weil der Roman einerseits in der Schilderung der Entwurzelung von einigen jungen Lothringern im Paris der Dritten Republik und ihrer Begegnung mit der Korruption des öffentlichen Le-