Druckschrift 
Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
Seite
333
Einzelbild herunterladen

Achad Haam

333

Achad Haam

Im Jahr 1902 war gegen den Rat vieler Freunde Herzls utopischer Roman Altneuland erschienen, der, literarisch auf der Grenze zwi­schen Jules Verne und einem harmonisierenden Schlüsselroman aus dem aktuellen zionistischen Aktionskomitee angesiedelt, die glorreiche Zukunft eines landwirtschaftlich blühenden und tech­nologisch hochentwickelten Judenstaates in Palästina ausmalte. Leicht waren die Figuren von Wolffsohn, Hechler, der Gebrüder Marmorek, Mandelstams und anderer Figuren aus der Entourage von Herzl zu dechiffrieren, denen leitende Positionen im neuen Staat zugeschrieben wurden. Nordau figurierte als »Dr. Marcus«, Präsident der Akademie der Wissenschaften.

Herzls Reisediplomatie als Führer der zionistischen Bewegung war seit je auf die heftige Opposition der russischen Zionisten ge­stoßen, die, entgegen Herzls politischem Zionismus, in der Tradi­tion der Chovevej Zion eine schrittweise Ansiedlung in Palästina auch noch vor der Errichtung eines jüdischen Protektorats oder Staates in Palästina forderten. Diese russischen Zionisten stellten ein ständig wachsendes Segment der Delegierten auf den Zioni­stenkongressen. Ihnen mußte Altneuland wie eine politische Fata Morgana erscheinen. Aber auch die engen Freunde Herzls, die durchaus einen politischen Zionismus der Staatsgründung befür­worteten, fanden die Ernsthaftigkeit dieses Anliegens gefährdet, wenn der politische Führer der zionistischen Bewegung, der mit Staatsoberhäuptern und Monarchen verhandelte, plötzlich als un­seriösen Romancier und Utopist hervortrat. Der heftigste Wider­stand indessen schlug Herzl seitens der sogenannten Kulturzioni­sten entgegen, die im Zionismus vor allem die Chance und den Neuanfang einer eigenen, nicht mehr nur religiös geprägten, mo­dernen jüdischen Kultur sahen.

Ihr Führer Achad Haam hatte Altneuland und damit Herzl in einer beißenden Kritik lächerlich gemacht und dabei vor allem die totale Assimiliertheit Herzls und seiner Vorstellungen vom Juden­staat an die nichtjüdische Kultur Westeuropas heftig attackiert. Dem in Altneuland phantasierten Judenstaat und seiner Kultur fehle es, so kurz gesagt der Vorwurf, an genuin jüdischer Substanz.

Da Herzl sich als Angegriffener gegen einen kritischen Verriß sei-