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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Uganda

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schlachtet, wenigstens verjagt werden, wie in Sodom und Go­morrha. Der Gedanke der Toleranz erregt seinen Ekel. Nun, un­seren Ekel erregt es, ein verkrüppeltes, geducktes Opfer der Into­leranz, einen verachteten Sklaven intoleranter Knutenschwinger in dieser Weise von Toleranz sprechen zu hören. Achad-Haam wirft Herzl vor, dass er die Sitten Europas nachahmt. Er gestattet nicht, dass man Europa seine Akademien, Opernhäuser und weissen Handschuhe entlehne. Das einzige, was er aus Europa nach Altneuland mitnehmen möchte, das sind die Grundsätze der Inquisition, die Sitten der Antisemiten und die fudengesetze Russlands. Man würde vor einer derartigen Missbildung des Gei­stes Abscheu empfinden, wenn das Mitleid nicht vorwöge. Das Mitleid mit einem Manne, der sich aus dem Bann des Ghettoge­dankens nicht losringen kann. Die Vorstellung der Freiheit ist ihm unfassbar. (...)

Achad-Haam ist ein weltlicher Protestrabbiner. (...) Er ist kein Zionist. (...) »Politischer« Zionismus ist eine Tautologie. Ein Zionismus, der nicht politisch wäre, das heißt, der nicht die Schaffung einer Heimstätte für den nicht anpassungsfähigen oder nicht anpassungswilligen Teil des jüdischen Volkes an­strebte, wäre überhaupt kein Zionismus (...).«

Uganda

Noch ein zweites Mal mußte Nordau im Jahr 1903 Herzl sekundie­ren. Dieses Mal ging das für ihn fast tödlich aus. Die britische Regie­rung hatte nach Verhandlungen mit Israel Zangwill den Zionisten ein Protektorat in Uganda für eine zügige Ansiedlung vor allem der von Pogromen bedrohten russischen Juden in Aussicht gestellt. Herzl, der dieses Angebot favorisierte, wollte es auf dem VI. Zioni­stenkongreß in Basel diskutiert wissen, wagte aber im Wissen um den voraussehbaren Widerstand der russischen Chovevej Zion und aus Furcht vor einer Spaltung der Delegierten nicht, das Uganda-Projekt selbst vorzuschlagen. Nordau hatte am Vorabend seiner Rede, dem 23. August 1903, starke Zweifel an der Zustim­mungsfähigkeit und Durchsetzbarkeit des Projekts, die er Herzl ge-