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Wien, Paris, Madrid, London, Paris
Hamburg zeigte, daß die Fraktion der praktischen Zionisten mit ihren Ideen einer jüdischen Ansiedlung in Palästina auch ohne »Charter«, also eine Art politischer Garantieerklärung einer der Großmächte für Leib und Eigentum der Siedler, ständig wuchs. Nordau und Wolffsohn als Befürworter der Gründung eines Juden- staates widersetzten sich dieser Tendenz. Unter der Führung solcher russischen Zionisten wie Ussischkin, Sokolov oder Weiz- mann wurde jedoch die Politik von Wolffsohn heftig attackiert; er tritt 1911 in Basel nicht zur Wiederwahl als Präsident der Bewegung an und wird durch den Hamburger Professor Otto Warburg, einen unpolitischen Mann ohne Feinde auf den verschiedenen Flügeln des Zionismus, ersetzt. 54 Nordau, der nach der Machtergreifung der »Jungtürken« am Bosporus 1908 noch Hoffnung auf eine rechtlich garantierte Ansiedlung in Palästina gehegt hatte 55 , nimmt seine Aktivitäten fast gänzlich zurück. In Hamburg 1911 hat er das letzte Mal den Vorsitz des Kongresses, zum nächsten Kongreß in Wien 1913 fährt er nicht mehr. 56 Er gibt Interviews über den Zionismus und tut so immer wieder von außen seine Meinung kund, aber er hat in der Exekutive der Bewegung keinen Ansprechpartner mehr und schreibt auch nicht mehr in der Welt.
Als er im sogenannten Schulstreit um die Unterrichtssprache am neugegründeten Technion in Haifa 1913 von Tschlenow, einem Mitglied des zionistischen Aktionskomitees, gebeten wird, für den Unterrichtsausschuß dieser Institution zu kandidieren, lehnt Nordau ab. 57 Der Streit darüber, ob Deutsch oder Hebräisch am Technion die Unterrichtssprache sein sollte, hatte monatelang nicht nur die zionistische Bewegung in Atem gehalten, er hatte auch die französische Diplomatie verärgert, die in der gespannten Situation der Vorkriegsjahre in den Zionisten einen verlängerten Arm des deutschen Erbfeindes sah und diesen Verdacht durch die
54 Vgl. Walter Laqueur, A History of Zionism, New York 1972, S. 145-149.
55 Stenographisches Protokoll des IX. Kongresses, S. 20 ff.
56 Vgl. Brief Nordau - Immanuel Olschvanger, 19.6.1913, ZZA K 11/81/2- Nordau gibt dort die falsche Wahl des Tagungsortes Wien und die Rügen der Leitung der zionistischen Bewegung wegen eines Interviews in der Times als Grund für sein Fernbleiben an.
57 Brief Nordau - Tschlenow, 19.11.1913, ZZA Z 3 /1013 / Blb8.