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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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348 Wien, Paris, Madrid, London, Paris

in den Jahresrückblicken in der Neuen Freien Presse. Dort hatte er seit 1911 jedes Jahr vor der Gefahr eines großen, wegen der Über­rüstung der Großmächte und der modernen Technik in seinen Aus­maßen und Auswirkungen nie dagewesenen, unabschätzbar zer­störerischen europäischen Krieges gewarnt. Im Ausblick auf das Jahr 1914 sieht er Europa auf diesen Krieg zutaumeln. Als der Krieg dann im August 1914 ausbricht, trifft er Nordau dennoch persön­lich unvorbereitet.

Weltkrieg

Am 3. August 1914 erklärt Deutschland Frankreich den Krieg. Am 7. August beginnen nach der Generalmobilmachung die Kampf­handlungen bei Beifort. Nordaus Situation in Paris ist prekär: Er ist ein bekannter Auslands-Korrespondent, der für wichtige Blätter der Feindnationen Deutschland und Österreich schreibt, die in diesen Tagen des nationalistischen Hochgefühls alle liberalen Traditionen und Hemmnisse fahren lassen und einem antifranzösi­schen, antienglischen und antirussischen Hurra-Patriotismus hul­digen. Die Welt teilte sich auf in Freunde und Feinde, für Neutrali­tät war kein Platz. Nordau wurde als Vertreter von Feindnationen gesehen und war in Frankreich per se Spionage- oder sabotagever­dächtig und damit von Verhaftung bedroht.

Daß er selbst das anders sah, spielte keine Rolle. Er wurde vorerst nicht interniert, nicht unter Bewachung gestellt oder ausgewiesen, sondern konnte erst einmal in Frankreich bleiben und anscheinend sogar reisen. Aber unter den gegebenen Umständen entschloß er sich für die Ausreise in ein neutrales Land. Aus alter Liebe, wohl auch im Wissen um die besseren Kontakte und Arbeitsmöglichkei­ten dort, wählte er Spanien, nicht die Schweiz oder Italien, das sich zu Kriegsanfang für neutral erklärt hatte. In Spanien hatte er viele Freunde, aber zunächst brauchte er eine Ausreisegenehmigung der französischen Behörden. Er hat die Ausreisegenehmigung nach wochenlangem Zögern am 1. September beantragt, brachte am 4. September mühsam seine Familie in die Bretagne und erhielt dort