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Psychopathologie des Fin de siècle : der Kulturkritiker, Arzt und Zionist Max Nordau / Christoph Schulte
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Epilog

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Freundes Meir Dizengoff, des ersten Bürgermeisters von Tel Aviv, auf dem damals noch ganz neuen, heute Alten Friedhof von Tel Aviv, Rehov Trumpeldor.

Epilog

Begraben wie ein Staatsmann, scheint sich die Biographie Nordaus zu runden, scheint seine Vita mit einem happy end zu schließen. Per aspera ad astra konnten die zionistischen Biographlnnen Nordaus den Aufstieg eines Juden aus ärmlichsten Pester Ghetto- Verhältnissen zum europäischen Intellektuellen und zionistischen Gründerpatriarchen nachmalen. So wurde eine durchaus wider­sprüchliche, von vielfachem Scheitern, von Bankrott, schweren Krankheiten, unerfülltem Ehrgeiz und geplatzten Träumen, jahre­langen polemischen Auseinandersetzungen, mehrfachem Exil und unermüdlicher, harter Arbeit gezeichnete Existenz am Ende dar­stellend harmonisiert und auf einen bestimmten, zionistischen Le­benssinn hin finalisiert. Wie das noch heute bei Biographien von Staatsmännern üblich ist. Man hat sich bemüht.

Schauen wir aufs Detail, lassen sich, hundert Jahre später, solche Glättungen nicht mehr nachvollziehen. Wir blicken auf eine Bio­graphie und auf ein Werk voller Brüche und Widersprüche. Unser Harmoniebedürfnis wurde dadurch sicherlich enttäuscht, aber diese Enttäuschung führte im Fall Nordaus nicht dazu, daß wir das Interesse verlieren. Vielmehr gewinnt er in seiner Widersprüchlich­keit und seinen privaten Schwächen vielleicht noch an Faszina­tion. Wir wohnen in Nordaus Biographie sozusagen der Erfindung des jüdischen Intellektuellen bei. Das klingt wie ein Klischee, aber es sind neben Clemenceau, Zola oder Jaures jüdische Intellektuelle wie Nordau oder Bernard Lazare, auf die die Kennzeichnung »In­tellektueller« während der Dreyfus-Affäre im Jahr 1898 tatsächlich erstmals gemünzt wurde. 84 Ein Schimpfwort der Antisemiten für

84 Vgl, Dietz Bering, Die Intellektuellen. Geschichte eines Schimpfwortes, Stuttgart 1978, bes. S. 32-67.