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Sonderheft 1, Zeitbilder: Zwei Fragmente von Theodor Fontane "Sidonie von Borcke" und "Storch von Adebar"
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in Erfindung spöttischer Beinamen, war von großem Ahnenstolz und erklärte die fürst­lichen Hofbedienten für »Halunken, Schreiberknechte und Bürgerkerle«. Mit keinem hielt sie Frieden. Aufs äußerste neugierig, fragte sie nach allem bei alten Wahrsagerinnen an. Sic hatte deren wie in Lohn und Brot. Vor allem wollte sie beständig wissen, wies mit der Jungfernschaft ihrer Klosterschwestern stünde. Das schuf ihr viel Feinde. Die alte Wolde war ihre »Geheimte-Rätin«. Und Hexen die verbrannt wurden, schickte 14 sie ein Toten­hemd. . . Es schmeichelte ihrem Hochmut, wenn alles vor ihr kroch und bebte. Dabei ent­fuhren ihr Prahlereien, die später üble Folgen für sie hatten.« Sie ist durch und durch bös aristokratisch, mit Lastern gesättigt, aber kühn, mutig, frei trotz allem Aberglauben und nicht ohne eine gewisse Großartigkeit.

[Drei aufgeklebte Zettel]

[1]

Ihr Bild im Berliner Kalender von 1858.

Nach einer bandschriftl. 15 Notiz in Daehnert befand sich ihr Bild 1812 auf Heinrichsdorf, einem Schlosse des Geheimrats v. Arnim ,0 auf Heinrichsdorf bei Dramburg.

V iclleicht ist danach das Bild im Kalender von 1838 angefertigt.

[2]

Regelmäßige Züge, schön geschnitten, kleiner Mund, alles von einem gütigen und idealen Ausdruck. Das schöne volle Haar war wulstartig (besseres Wort) zusammengelegt und in ein Goldnetz gelegt, das vorn, über der Stirn, [sich] sonnengoldfarben [?] in ein diadem­artiges Goldband verbreiterte. Ein ähnliches Band trug sie um den Hals und einen Bro­schenschmuck daran. Uber dem Kleide ein kleiner Samtkragen, schräg auslaufender Samt­kragen mit Pelz besetzt und über dem Kragen eine starke goldene Kette.

[3]

Sidonie und die alte W olde 17

»Se seggen: Godd lett 18 sich nicht spotten, un ick segg di: de Düwel 00k nich.« Damit ging die Alte aus dem Zimmer.

Dies macht einen großen Eindruck auf Sidonie, die zu fühlen beginnt, daß das, womit sie gespielt, wirklich zu werden beginnt und sie zu würgen droht.

Sie war noch schön und wer sie so sah, hätte ihr zehn Jahre weniger gegeben. - Sie war, ohne stark geworden zu sein, doch immer stärker geworden, was ihr Spannung und eine glatte Haut gab. Nirgends sah man auch ein Fältchen nur. Ihre Augen waren blau, aber von solchem Feuer daß sie schwarz erschienen, volles schwarzes Haar. Ihr erster Anblick war imponierend und im höchsten Maße gewinnend; sie hatte was Freudiges und Freund­liches, alles war Lebenslust. Erst wenn man schärfer zusah, sah man daß hier viel zurück lag, viel erlebt war, dann schoß es auf und eine Welt von Leidenschaft und Verbrechen(P) leuchtete draus hervor. Sie hatte wüst gelebt, und daß sie aussah, wie sie aussah, verdankte sie ihrer kräftigen Natur und daneben einem gewissen Erhaltungsinstinkt, der sie mitten in ihren Extravaganzen innehalten und sich auf sich selbst und Aufgaben des Lebens be­sinnen ließ . . - Es war aber nicht bloß dieser Instinkt, es waren auch die Außendinge, Erziehung, Leben, die eine gewisse Gewalt über sie übten. Ihre Jugend fiel noch in die katholische Zeit, oder wo doch vieles im Lande noch katholisch war. Sie war bei einer

14 Darüber: schenkte

15 Doppelt unterstrichen.

14 Aus: einem Schlosse von Graf Arnim 17 Mit Blaustift.

14 Aus: läßt

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