in die die Seelen ihrer Verstorbenen übergehen. Jeden Morgen bei Tagesanbruch stand er auf und warf eine halbe Kokosnußschale voll erspartes Essen ins Meer, um seine vermeintlichen Verwandten nicht hungern zu lassen. Oft auch sahen wir am Foreyard-Ende des Schiffes Stücke von Kokosnuß hängen, die ein Kanaka dort angebracht hatte, um günstigen Wind zu machen. Tom erzählte mir oft allen Ernstes, daß einer seiner Verwandten, dessen Canoe beim Fischfang vom Sturm überrascht und umgeworfen worden, durch seine verstorbene Schwester, die sich ihm als Fisch zeigte, gerettet worden sei. Auf Kartenlegerei legt der Kanake viel Wert und glaubt unwandelbar an die Prophezeiungen. Einer meinet Kameraden machte sich diesen Aberglauben zu Nutze und brachte manche Flasche Gewürzbier, die er für seine Narrenspossen erhalten, mit nach Hause. Einmal auch gelang es ihm von einem Besitztum, in welchem an der Höhe eines mit Mais bebauten Hügels ein böser Geist sein Spiel treiben sollte, durch eine Menge wunderlicher von ihm selbst erfundenen Zeremonien, dem Spuk ein Ende zu machen und der Mann bekam nach diesem Erfolg, der ihn in den Augen der Kanaken zu einem ungewöhnlichen Teufelsbanner stempelte, eine ausgedehnte Kundschaft für seinen Hokuspokus.
Eigentümlich sind die Begrüßungsformen befreundeter und verwandter Personen nach langer Trennung und die Zeremonien bei Bestattungen. Tom hatte seine Verwandten, Mutter und Schwester, seit sieben Jahren nicht gesehen, als wir im Jahre 1865 wieder im Hafen von Honolulu einliefen. Die beiden Frauen hatten von seiner Ankunft gehört und kamen nach einiger Zeit eiligst herbei. Es war eine ältliche Frau von etwa 50 Jahren; die Schwester mochte 28 bis 30 zählen. Als beide Teile einander sahen, begannen sie zu weinen, neigten, ohne sich zu umarmen, mehrmals ihre Gesichter gegeneinander, setzten sich dann einander gegenüber und schauten sich an, ohne ein Wort zu sprechen. Diese sonderbare Sitzung dauerte wohl eine halbe Stunde. Wenn aber ein Familienmitglied stirbt, so wird während zweier Tage an der Leiche von alten Weibern gewacht, die den Toten in einer Weise besingen, welche Steine erweichen und Menschen rasend machen kann. Der Tote wird dann mit seinem Schmuck, dem wenigen hinterlassenen Gelde, oder einem Teil desselben eingegraben, wobei man nicht verfehlt, ihm auch Speise in und auf das Grab zu legen. Jeder kennt diese Modalitäten der Beerdigung, aber auch der geldgierigste Kanake würde nicht wagen, das Geringste von dem Schmucke oder Gelde anzutasten, aus Furcht, sofort Todes zu sterben.
Als ich zum letzten Male auf Honolulu weilte, war König Kalakaua noch ein Jüngling. Ich habe damals König Kamehamea V., auch viele Große des Reiches gesehen, ob darunter vielleicht auch Kalakaua gewesen, ich weiß es nicht. Aber als die Kunde seiner Ankunft in Europa zu mir gelangte, da trat in immer deutlicheren Farben und Umrissen das, was ich vor 14 Jahren und früher dort gesehen und erlebt vor mein inneres Auge, daß es mich unaufhaltsam trieb, dem Gegenstände lebensvoller Erinnerung auch schriftlichen Ausdruck zu geben, und wenn ich durch diese Zeilen beigetragen habe, manchem Ihrer Leser ein flüchtiges Bild jener wunderbar schönen und doch noch immer ziemlich wenig bekannten Eilande zu geben, und einige Augenblicke belehrender und unterhaltender Lektüre zu bieten, so will ich mit Befriedigung meine Feder nicderlegen.
[Uber diesem Ausschnitt handschriftlicher Vermerk: »Zu Storch v. Adebar. Namentlich die Stelle von der Insel Molokai.«]
Velleitäten: Willensansätze. — culbutieren: stürzen. - von denen der Apostel sagt: Offenbarung 3, 15, 16: »Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.«
Cichtelianer: Anhänger des Theosophen Johann Georg Gichtei (1638-1710), die sich auch »Engelsbrüder« nannten (Ausbildung einer verworren-schwärmerischen, passiven Religiosität, Ablehnung prakt. Arbeit). - Verdruß: Buckel. - Nero, Tiberius, Caligula: röm. Kaiser des 1. Jhs. n. Chr.; Nero und Caligula waren wegen ihrer Grausamkeiten und Ausschweifungen bekannt. - Groß-Inquisitor: Vorsteher der Inquisition (Ketzergericht) in Spanien. Vgl. auch »L’Adultera«, 21. Kp.
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