Teil eines Werkes 
1 (1912) Sagen
Entstehung
Seite
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Die Sage weiß zu erzählen, daß hier vorzeiten weder See noch Ort gewesen sind; sondern an deren Stelle erhob sich ein großes, schönes Schloß. Die Besitzer aber waren böse Menschen; sie fürch­teten nicht Gott, nicht Menschen und lebten in schweren Sünden dahin. Doch auch die Langmut Gottes kann ein Ende haben, und so geschah es auch den Besitzern des Schlosses. Eines Tages zog ein furchtbares Wetter herauf mit gewaltigem Brausen, und als es vorüber war, war das Schloß verschwunden, und an seiner Stelle breitete sich die bewegte Fläche eines großen Sees aus. Die Erde hatte das Schloß verschlungen.

Diese Veränderung wurde zuerst von einem Weibe bemerkt, das mit seinem Manne, der Arend hieß, über das Feld ging. Voller Verwunderung stand sie still, deutete mit dem Finger auf den See und rief staunend:Arend, seh!" Daher hat man dem Städtchen, das später an dem See erbaut wurde, den Namen Arendsee ge­geben.

In diesem See findet man den feinsten weißen Streusand, und wenn die Sonne hell scheint, soll man noch alte Mauern und Gebäude des versunkenen Schlosses sehen. Der See ist gewaltig tief, und an seinem Wasser ist weder Vermehrung noch Verminde­rung zu spüren. Es ist auch die größte Vermessenheit der Welt, seine Tiefe ergründen zu wollen, und mancher, der es versuchen wollte, hat schon eine warnende Stimme gehört, die aus dem Grunde herauftönte; so mancher aber, der auf diese Stimme nicht hören wollte, hat es schon mit dem Tode büßen müssen. Es wird auch erzählt, daß es einmal einige vorgehabt hätten, das Wasser zu er­gründen und ein Seil hinabgelassen hätten. Wie sie es aber wieder herauszogen, fand sich ein Zettel daran mit dem Gebot: Lasset ab von eurem Unternehmen, sonst wird eurem Orte widerfahren, was diesem geschehen ist. Aus vielen Zeichen ist klar, daß der See sich weithin unter der Erde forterstrecken müsse; denn wenn man nach Salzwedel fährt, so hört es sich oft an, als wenn es über ein Gewölbe ginge, und der Bernstein, den die Fischer bisweilen daraus Hervorbringen, beweist, daß er mit der Ostsee in Ver­bindung stehe.

An dem See ist es noch immer nicht recht geheuer. Noch jetzt spült er bisweilen große Stücke vom Lande fort. Noch vor zwei­hundert Jahren erhob sich am Katharinentage ein gewaltiger Sturm mit Erdbeben und riß ein großes Stück Land, auf dem

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