Heft 
(1907) 15
Seite
29
Einzelbild herunterladen

Kleine Mitteilungen.

29

Kleine Mitteilungen.

Charakter der Berliner. Vor 60 Jahren geschildert von H. Beta:Berlin in der Westentasche 1843.

S. 17:Und daß man in Berlin ist, daran erinnert uns die Grobheit, die malitiöse Zungen- und Schlagfertigkeit und der freche Witz mit dem scharfen, blanken Accent, wovon man sich auf die. nachteiligste Weise Proben verschaffen kann, man braucht nur jemand zu rempeln oder einen guten Rock und eine Brille zu tragen.

S. 18:Ein Berliner Witz ist besser als eine schöne Gegend, sagt Hegel; deshalb haben sich die Berliner das Bessere angeschafft, Witz ist aber nicht ihr Grundcharakter, sondern nur eine Form. Durch Kampf mit Sumpf und Sand und politischen Feinden sind sie gewöhnt, alles mit dem Verstände scharf und mutig aufzufassen und zu behandeln. Göthe nennt die Berliner eine verwegene Menschenrace. Statt scharf nehmen sie vieles spitz, das giebt Witz. Witz, Schärfe, (wie der blanke, scharfe, helle Accent der Sprache es unmittelbar bekundet) Mut, Verwegen- und Verwogenheit, Verstand, Kritik, Kampf- und Schlagfei'tigkeit ist der norddeutsch-brandenburgiscli-berlinische Grundcharakter und Friedrich der Große dessen Normalform, Der edle Kern will edle Nahrung, oder wie das Sprichwort sagt: Ein guter Bissen will auch eine gute Tunke. Wir haben keine großen Zwecke zu verarbeiten, wir sind verdammt ebenso wie der Philister der kleinen Stadt, kleinliche Privat­interessen noch kleiner zu kauen. Das hat den edeln Grundcharakter der Berliner verdorben. Der Mut ist Arroganz, der Verstand kritische Selbst­bespiegelung; Kritik, Klatschsucht, Witz Eckensteher-Fuselmalice geworden. Die tausend Gelegenheiten zum Genuß haben eine ekelhafte Genuß- und Prunk- und Prahlsucht erzeugt:man so dhun. Die Folge ist Übersättigung, Blasiertheit, Neugier, Hunger, die Leere immer wieder auszufüllen mit Dingen, die nicht nähren. Der Witz und die Sucht, sich darin selbst zu genießen, lauert immer wie die Katze vor dem Mauseloche, über jede Maus, die der kreisende Berg gebiert, sofort herzufallen. Mit dieser formalen, abgehetzten, egoistischen Bildung, der es an edler Nahrung fehlt, hängt der hohe Enthu­siasmus für jede Berühmtheit zusammen, die Vergötterung von Virtuosen, Tänzerinnen, Athleten, Bajaderen, dressierten Menschen und Tieren. Sie erheben solche Berühmtheiten zu goldenen Kälbern, nicht in der redlichen Absicht, sie zu vergöttern, sondern darum herum zu tanzen. Und das Tanzen macht den Tanzenden Spaß. Wer in solchen Genüssen lebensbankerott geworden, flüchtet sich in das dunkele, hier stark bevölkerte Reich der Frömmelei. So erklären sich die Gegensätze: Frivolität und Genußsucht und ebenso gottlose Abstraktion vom Leben in pietistischen Klubs. Wer sich in den leeren Genüssen des Residenzlebens übersättigt und die Genuß­fähigkeit verloren hat, flüchtet sich endlich zu Gott, da er ja nicht mehr sündigen kann. Gebt dem edlen Grundcharakter der Berliner edle Nahrung»