Heft 
(1896) 5
Seite
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Volkstümliche Naturanschauungen.

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kessel, die versteinerten Seeigel Riesenknöpfe. Durch Pilzwucherung entstellende kahle Flecke auf Viehweiden nennt man Hexenringe, die auf der Edeltanne durch Pilze hervorgerufenen Missbildungen werden Hexenbesen, ein plötzlich auftretender Schmerz wird Hexenschuss ge­nannt. Ein wahren Tausendkünstler ist nach dem Volksglauben der Teufel. Als Teufelskanzel, Teufelskirchen und Teufelsmauern bezeichnet man die verschiedensten auffallenden Felsformationen; geradezu zahl­los sind die Teufelsseen; der römische Grenzgraben der limes romanus heisst der Teufelsgraben. Der Gichtschwamm ist ein durch seine Form und Entwickelungsart sehr auffallender Pilz (Itliyphallus impudicus); er ist im jugendlichen Zustande eiförmig und weiss und wird daher Teufelsei oder Hexenei genannt; auch bei heftigem Schneefall muss der Teufel helfen: de Diiwel swingt Flass un smitt uns dat Sclieev umme Ohren. Ja selbst in der jetzigen Zeit wird dem Teufel noch mancherlei in die Schuhe geschoben; wer kennte nicht den Druckfehlerteufel, der freilich ein Schrecken der Autoren ist, aber doch meist nur als ein neckischer Kobold seine Possen treibt.

Nach einem Gewitterregen zeigen sich auf feuchter Erde und Gras­plätzen zuweilen unregelmässig gelappte Gallertmassen. Die mikro­skopische Betrachtung zeigt, dass diese Gallert von einer Alge herrührt, (Nostoc commune), die durch' den Regen plötzlich aufquillt und dadurch sichtbar wird. Die Landleute konnten sich das plötzliche Erscheinen dieser Massen nicht erklären, nahmen an, sie fielen vom Himmel, und nannten sie Sternschnuppen. Diesem lässt sich vergleichen die Auf­fassung der Belemniten als Donnerkeile und die für prähistorische Stein­beile vorkommende Benennung Gewittersteine. Alle diese willküiTichen Namen zeigen, wie leicht es sich oft das Volk macht, um eine Erklärung für die Beobachtungen zu finden.

Zahlreiche volkstümliche Geschichten und sprichwörtliche Redens­arten enthalten nur scheinbar eine Naturbeobachtung, während eine Moralvorschrift oder eine Lebensregel den eigentlichen Inhalt bildet. Anstatt Kindern zu eagen, ihr dürft keine Gesichter schneiden, heisst es: wer Gesichter schneidet, dem bleibt das Gesicht verzerrt stehen, wenn die Uhr schlägt.

Geduld wjrd empfohlen in der eigentümlichen Vorschrift: Wer

krank ist und Schmerzen leidet, dem muss Verbene an das Bett gebunden werden; das hilft aber nur, wenn der Kranke nicht jammert.

Einen recht praktischen Rat, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, enthält das komisch klingende Sprichwort: Sauer macht lustig; es wird gebraucht, wenn jemand sich über den allzu sauren Wein beklagt.

Gute Vorsichtsmassregeln werden oft in sonderbarer Form gegeben. Eine Frau soll in den ersten sechs Wochen nach der Entbindung nicht über Feuer gehen (auf den Boden steigen), sonst wird sie lahm. Für